Echte Begegnung ist wichtiger denn je

Interview
Ausgabe Nr. 7
  • Soziales
Autor:
Als Ordensfrau, Psychotherapeutin und Buchautorin möchte Teresa Hieslmayr  das „Wir“ neu ins Bewusstsein holen.
Als Ordensfrau, Psychotherapeutin und Buchautorin möchte Teresa Hieslmayr
das „Wir“ neu ins Bewusstsein holen.
©Teresa Hieslmayr
Die Zeit für ein Gespräch, verbunden mit ehrlichem Interesse am Gegenüber, lässt kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bedürfnisse der Menschen erkennen, so Schwester. Teresa.
Die Zeit für ein Gespräch, verbunden mit ehrlichem Interesse am Gegenüber, lässt kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bedürfnisse der Menschen erkennen, so Schwester. Teresa. ©Teresa Hieslmayr

In einer Gesellschaft, die zunehmend von Spaltung und Individualismus geprägt ist, setzt sich Schwester Teresa Hieslmayr für ein neues Miteinander und echte Begegnung ein. Ein Gespräch über das Wir, das Heilsame und warum eine Tasse Kaffee manchmal mehr bewirken kann als große Konzepte.

Ich besuche Schwester Teresa Hieslmayr in ihrer psychotherapeutischen Praxis in Wien-Brigittenau. Hier trifft die in Jeans und Bluse gekleidete Ordensfrau täglich auf Menschen, die Unterstützung benötigen, nach Halt suchen oder ihre Lebensrichtung verloren haben. Die Dominikanerin pendelt zwischen Wien und ihrem Kloster in Kirchberg am Wechsel, wo sie ebenfalls eine psychotherapeutische Praxis führt. Anlass für unsere Begegnung ist ihr vor kurzem erschienenes Buch „Wege zum Miteinander. Verbundenheit finden, die unser Leben stärkt“. 

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Schwester Teresa: Für echte Begegnungen

Schwester Teresa schreibt in ihrem Buch aus ihrer „Doppelfunktion“ als Ordensfrau und Psychotherapeutin. Sie ist zudem Germanistin und Theologin. Das Thema des Miteinanders hat sie von Kindesbeinen an begleitet: Sie ist Zwilling und war damit schon im Mutterleib mit jemandem gemeinsam. „Mir erscheint das als ein wichtiger Zugang zur Welt: Ich gestalte und erlebe Welt nicht nur aus meinem eigenen Erleben heraus, sondern ich habe immer das große Ganze im Blick. In dem Buch wollte ich ausführlich darstellen und anhand verschiedener Dinge durchbuchstabieren, was das im Konkreten bedeutet.“
 

Spaltung und Polarisierung statt Begegnung

Unsere Gesellschaft ist zunehmend geprägt von Diskussionen über Spaltung und Polarisierung. Welche Grundlagen müssen für ein gutes Zusammenleben geschaffen werden und wie lässt sich der gesellschaftliche Zusammenhalt stärken? Diese Fragen stehen im Zentrum des neuen Buches „Wege zum Miteinander“ der engagierten Psychotherapeutin und Ordensfrau. 
 

Warum brauchen wir das Wir, die Verbundenheit im Miteinander?

Schwester Teresa Hieslmayr: Einerseits um zu überleben und andererseits um glücklich zu sein. Ohne Wir geht das einfach nicht.
Wenn Menschen zu mir in die Praxis kommen, dann geht es sehr oft um nicht funktionierende Beziehungen, um Einsamkeit, darum, keine Freunde zu haben. Ein großer Anteil von meinen Klientinnen und Klienten sucht mit solchen Problemen bei mir Hilfe. Isolation und Einsamkeit können sich vielfältig zeigen. Ich kann am Sonntag in die Kirche gehen, mit den anderen feiern und mich total einsam fühlen. Danach stehen die anderen vielleicht auf dem Kirchenplatz zusammen und keiner redet mit mir. Ich finde es wünschenswert, dass wir es schaffen, miteinander ins Gespräch zu kommen, auch wenn wir gegenteilige Meinungen vertreten. In vielen Situationen geht es nicht um Meinungen. Zwischenmenschliche Sorgen können wir unabhängig von ideologischen Standpunkten verstehen. Es geht darum, sich dabei gegenseitig zu unterstützen.

„Wie können wir heilsam da sein für die Menschen? Das muss unsere zentrale Frage sein.“

Teresa Hieslmayr

Die Ursachen für Einsamkeit

Im Buch analysieren Sie Ursachen für die zunehmende Vereinzelung und Einsamkeit in der modernen Gesellschaft und zeigen auf, wie diese überwunden werden können. Was sind Hindernisse zum Miteinander?

Wir haben ein großes Bedürfnis nach Freiheit. Freiheit und Unabhängigkeit stehen in der Wertehierarchie ganz oben. In einem Wir zu sein bedeutet aber auch Bindung, Verpflichtung und Verbindlichkeit. Ich glaube, dass Menschen vor Verbindlichkeit Angst haben, weil sie fürchten, dadurch ihre Freiheit oder Unabhängigkeit zu verlieren. Auch die Feststellung, dass wir andere zum Leben „brauchen“, klingt in unseren Ohren unangenehm. Lieber verwenden wir Maschinen. Allerdings: Selbst wenn ich vor einer Maschine stehe, brauche ich jemanden, der mir die Maschine herstellt und wartet. Ich glaube, wir müssen den Wert der Freiheit mit anderen Werten ergänzen.
 

Begegnung: Die Hilfe der Kirche

Wie kann die Kirche mithelfen, Einsamkeit und Vereinzelung entgegenzuwirken, das Wir zu fördern?

Es ist eigentlich ganz simpel: Wir, vor allem alle Hauptamtlichen in den Pfarren und Einrichtungen, müssen einfach auf die Menschen zugehen, sie fragen: Wie geht es dir? Was brauchst du? Es ist schade, dass das nicht eine Selbstverständlichkeit ist. Ich habe den Eindruck, dass man in den Pfarren so sehr mit dem Organisieren von Dingen beschäftigt ist, dass dafür zu wenig Zeit und Energie bleibt. Wie können wir heilsam für die Leute da sein? Das muss unsere zentrale Frage sein, ist es aber derzeit leider nicht. Das Wichtigste ist, dass man die Leute fragt, wie es ihnen geht.
 

Begegnung braucht Zeit

Was braucht es dazu?

Das Wir braucht Zeit: Als Kirche müssen wir uns Zeit für die Menschen nehmen. Zeit ist für das Wir ein Sine qua non, ohne Zeit geht es nicht. Ich glaube, dass die Schnelllebigkeit und der Zeitdruck tatsächlich eines der größten Probleme für das Miteinander sind. Es ist wichtig, das als Wert wieder neu für sich zu entdecken, Sich Zeit zu nehmen für ein Gespräch, am besten mit Kaffee, Kuchen und Keksen für die Kinder, ist die beste Voraussetzung für den Weg zum Miteinander. Und als Zweites ein reales Interesse für die anderen. Ein Interesse, das mich fragen lässt: Wer bist du? Was bewegt euch? Was kannst du und was braucht ihr? Aus solchen Fragen können Gespräche entstehen, die sowohl mich als auch die anderen bereichern und beglücken. 
 

©Tyrolia Verlag

Buchtipp: Neue Wege zum  Miteinander finden

Wege zum Miteinander bestellen

Warum fühlen sich so viele Menschen trotz Erfolg und scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten einsam? In ihrem Buch „Wege zum Miteinander. Verbundenheit finden, die unser Leben stärkt“ geht Schwester Teresa Hieslmayr dieser Frage auf den Grund. Sie zeigt, warum ein echtes Gemeinschaftsgefühl für unser persönliches Glück und die Bewältigung von Krisen unerlässlich ist. Statt Selbst­optimierung und Erfolgsstreben setzt sie auf Verbundenheit – mit anderen Menschen, der Natur und der Welt als Ganzes. „In sämtlichen Studien wird als zentrale Voraussetzung für geglücktes Leben das Bestehen von gelungenen Beziehungen und eine positive Erfahrung von Gemeinschaft genannt, meist sogar an erster Stelle“, betont die Autorin. Wer sich nach mehr Tiefe in zwischenmenschlichen Verbindungen sehnt, wird in dieser Publikation wertvolle Impulse finden. Ein Buch, das nachhallt und zum Nachdenken anregt – über uns selbst und über das, was uns wirklich verbindet.

Teresa Hieslmayr, Wege zum Miteinander. Verbundenheit finden, die unser Leben stärkt, Tyrolia, 160 Seiten, ISBN 978-3-7022-4211-4, EUR 20,– 

Bild: Tyrolia

Autor:
  • Portraitfoto von Agathe Lauber-Gansterer
    Agathe Lauber-Gansterer
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