Seien Sie gegrüßt!

Gedanken des Alten Steffl - Teil 1
Ausgabe Nr. 27
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Wahre Größe von innen – das Mittelschiff des Stephansdoms mit Blick auf die Riesenorgel.
Wahre Größe von innen – das Mittelschiff des Stephansdoms mit Blick auf die Riesenorgel. ©Michael Gubi, Verein Unser Stephansdom

Der Stephansdom ist seit Jahrhunderten Teil unserer DNA und der Identität unsers Land und seiner Menschen. Der Alte Steffl – wie der Südturm auch gerne bezeichnet wird – begleitet uns in diesem Sommer. Freuen wir uns über seine Gedanken, die er mit uns teilt.

Erlauben Sie, dass ich gleich meinem Ärger Luft mache. Ein bisschen beleidigt bin ich. Seit Jahren kursiert das Gerücht, dass mit „Steffl“ der gesamte Dom gemeint sei. Das stimmt so nicht, denn dieser Ausdruck gehört zu mir, Ihrem alten Sankt Stephans­turm. Die urigen Wienerinnen und Wiener bezeichnen den Stephansdom als „Stephanskirche“. Also ist klar, wer hier zu Ihnen spricht.

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Stephansdom ist nicht gleich Steffl

Aufgrund meines Alters und meiner im wahrsten Sinn des Wortes „gehobenen“ Stellung nehm’ ich Ihnen aber solche Verwechslungen nicht übel, dazu wurden mir schon viel zu viele Ehrungen zuteil. Neben vielen Wienerliedern, die mich besingen – eines wird ja in der Überschrift indirekt zitiert – gibt es noch unzählige Wortspenden. Sie glauben, ich übertreibe? Wollen Sie ein Beispiel? Gut, kein Problem. Lassen wir Papst Pius II. († 1464), vormals Aeneas Silvius Piccolomini, zu Wort kommen. Der Berater Kaiser Friedrichs III. schrieb: „Den Eindruck des St. Stephansturmes zu schildern, müssen wir aus Mangel an Darstellungsgabe uns begeben.“ Noch etwas Altes? Unverbesserlich. Na gut, weil Sie es sind. Der Schulmeister Wolfgang Schmeltzl († um 1557) meint in seinem Lobspruch der Stadt Wien: „Jedoch Sant Steffans thurn und stifft – Mit kunst die andern überdrift!“ Da staunen Sie, nicht wahr?

Am liebsten ist mir selbst aber die Geschichte von Adalbert Stifter († 1868) „Vom Sankt-Stephansturme“. Da schreibt er: „Wenn man Wien von einer Anhöhe aus betrachtet, deren mehrere in ganz geeigneter Entfernung liegen, so zeigt sich die Stephanskirche gewissermaßen als Schwerpunkt, um welchen sich die Scheibe der Stadt lagert. Und an der Kirche ist wieder der Turm der Zeiger ihrer Majestät.“ Wie wohl in kaum einer anderen Stadt bildet der Turm der Kathedrale den Mittelpunkt, reihen sich ringsum die Bezirke. Noch im 19. Jahrhundert war meine Spitze der Ausgangspunkt für die Katastralvermessung der Monarchie. Als Meister Hans von Prachatitz 1433 das zweiarmige Kreuz auf meine Spitze steckte, konnte ich mich einige Zeit lang rühmen, der höchste Kirchturm Europas zu sein, bis mich Straßburg überholte (ich bin nicht böse, nur ein bissl neidisch …).
 

Wiederaufbau des Stephansdom

Seither blicke ich auf meine Stadt hernieder. Ich sah Könige und Kaiser, die aus Anlass der Erbhuldigung durch das Riesentor traten und einige Zeit später durch dasselbe ihren letzten irdischen Weg antraten; Bischöfe, Kardinäle und drei Päpste hab’ ich gesehen und mein Geläute verkündete Freude und oft genug auch Trauer. Als es im 19. Jahrhundert Gedanken gab, meinen kleinen Bruder, den Nordturm, auszubauen, da haben sich die Wiener dagegen ausgesprochen. Sie wollten mich, ihr Wahrzeichen, so belassen, wie ich war – einzigartig. Ende des 19. Jahrhunderts haben die Verantwortlichen des Domes gemeint, man müsse meine Spitze abtragen und sie neu errichten. Einige Jahre lang konnte man nur einen unansehnlichen Stumpf sehen. Dies behagte weder mir noch den Bewohnern der Stadt. Alle halfen zusammen, damit die Spitze wieder Zentrum der Stadt sein konnte.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges blickte ich durch die eingestürzten Gewölbe des Chores in das Innere. Dieses Bild werde ich nie vergessen. Untilgbar hat sich aber etwas anderes eingeprägt: die Menschen, die den Dom wieder aufgebaut haben. Erneut waren es die Wienerinnen und Wiener, die ihrer Stephanskirche geholfen haben. Schlussendlich war es mir vergönnt, dass 1960 wiederum Glocken in meinem Inneren Heimstätte gefunden haben. Stolz kann ich sie seither immer wieder über die Stadt hinweg klingen lassen. Manch einer von Ihnen hat die 343 Stufen bis zur Türmerstube sicher schon erklommen. Vielleicht wissen Sie auch, dass bis zum Jahreswechsel 1955/56 von hier oben aus Männer der Wiener Feuerwehr die Feuerwache gehalten haben. Im Mittelalter gab es verschiedene Glocken-, Ruf-, Licht- und Fahnenzeichen, um die Bevölkerung auf einen Brand und andere Gefahren aufmerksam zu machen. Graf Rüdiger von Starhemberg, der Verteidiger Wiens während der Zweiten Türkenbelagerung 1683, verfolgte von dem nach ihm benannten Bankerl aus die Bewegungen des türkischen Heeres. An besonderen Feiertagen, wie beim Einzug des neugekrönten Kaisers, bei erfolgreichen Kriegen oder bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 wurden Flaggen an der Spitze gehisst oder ich mit Fackeln beleuchtet. Seit Jahrhunderten schauten von meiner Höhe aus Menschen, denen die Stadt am Herzen lag oder denen sie ans Herz gelegt wurde, sorgsam wachend auf Wien nieder.
 

Nun ist die Türmerstube den Touristen gewidmet. Fahnenzeichen werden keine mehr gegeben, nur die Glocken erschallen nach wie vor. Und ich, Ihr Steffl, blicke nach wie vor auf Sie nieder, meist lächelnd, manchmal traurig. Dann und wann kommen mir auch Gedanken, fällt mir etwas Besonderes auf. Auch wenn ich nicht mehr das höchste Gebäude der Stadt bin (der höchste Kirchturm Österreichs und einer der höchsten der Welt bin ich geblieben) – mit meinem erhöhten und geweiteten, rundumschauenden Blick fällt mir manches auf. Vieles, was Ihnen groß vorkommt, ist für mich klein. Deshalb erlaube ich mir, immer wieder meine Stimme zu erheben und Eindrücke, Gedanken wiederzugeben. Vielleicht ist meine Sprache manchmal boshaft oder sorgend – mein Blick wird aber, so hoffe ich, immer lächelnd und liebevoll bleiben. So grüße ich Sie alle aus 136,44 Metern herab bis zum nächsten Mal, wo Sie mir hoffentlich wieder Ihren Blick und Ihr Ohr leihen. Also, auf bald! 

Buchcover Gedanken des Alten Steffl
©Domverlag

Seien Sie gegrüßt! - Teil 1/8

 

Gedanken aus 23 Jahren, vormals abgedruckt im Pfarrblatt der Dompfarre zu Sankt Stephan.

 

Können Steine sprechen? Der Alte Steffl kann! In der Serie „Und schaut der Steffl lächelnd auf uns nieder …!“ im Pfarrblatt von Sankt Stephan tut er seit über 20 Jahren seine Meinung kund: einmal augenzwinkernd und verschmitzt, einmal nachdenklich und mit Sorge, jedoch stets respektvoll und mit Herz.

 

Aus höherer Perspektive und mit seiner jahrhundertelangen Lebenserfahrung kommentiert der Steffl – wie der Südturm des Stephansdoms von den Wienern gerne auch bezeichnet wird – das aktuelle Geschehen auf dem Stephansplatz und in der Welt um ihn herum.

 

Wie die Gedanken des steinernen Zeugen konkret zu Worten werden, enthüllt Domarchivar Reinhard H. Gruber in seinem neuen Buch mit einem „Best-of“ der beliebten Beiträge. 
Bereichert werden die Texte durch eindrucksvolle Fotos, die verborgene Details der Domkirche zeigen und ungewohnte Perspektiven eröffnen.

©Stefanie Grüssl – stefanie-kunst.at

Zum Autor:

Reinhard H. Gruber ist Domarchivar zu Sankt Stephan in Wien.

©Wiener Dom Verlag

Buchtipp:

Reinhard H. Gruber, Seien Sie gegrüßt! Gedanken des Alten Steffl, ISBN: 978-3-85351-336-1, 144 Seiten, EUR 30,00 erhältlich ab 23. 7. 2025 
domverlag.at

Autor:
  • Domarchivar Reinhard H. Gruber
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