Wie Familien die Bildungskrise überwinden

Wolfgang Mazal
Ausgabe Nr. 36
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Wolfgang Mazal: „Ist das Menschenbild der Gesellschaft so chaotisch wie das Bildungssystem?“ ©ITI Trumau

Schulstart: Familienexperte Prof. Wolfgang Mazal über die Zukunft der Bildung. Welche Herausforderungen hat das österreichische Bildungssystems?

Wer das Bildungssystem nun retten könne, fragte Univ.-Prof. Wolfgang Mazal, und er gab gleich selbst die Antwort: „Wir, als interessierte, diskursfähige und verantwortungsvolle Demokraten.“ Mazal lehrt Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien und engagiert sich auch in der außeruniversitären Forschung, etwa im Österreichischen Institut für Familienforschung. Und er ist zudem Präsident des Katholischen Laienrats Österreichs. „Familie – Schule – Gesellschaft: Wer rettet uns aus der Bildungskrise?“: So lautete das aktuelle Thema von Univ.-Prof. Wolfgang Mazal beim „Bildungsgipfel“ der Katholischen Hochschule ITI Trumau.

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Rechte der Kinder – und der Eltern

Die Bildungstagung in Trumau hatte drei zugrundeliegende Thesen: Menschenbild und Bildungssystem einer Gesellschaft stehen in einer Wechselbeziehung zueinander; Kompetenzorientierung versus Persönlichkeitsbildung und: Je mehr das christlich-humanistische Menschenbild zerfällt, umso mehr zerfällt auch das klassische Bildungskonzept. „Ist das Menschenbild der Gesellschaft so chaotisch wie das Bildungssystem?“, fragte Mazal: „Wir haben nämlich kein System im Sinn einer geschaffenen Ordnung, sondern einen Fleckerlteppich.“ „Wir hören auch sehr wenig darüber, welches Menschenbild unsere Gesellschaft prägt“, so Mazal. Die Rechtsgrundlagen der UNO-Kinderrechtskonvention würden Rücksicht auf verschiedene Interessen nehmen. Sie beinhalten „das Kindeswohl“ und „Aufgaben und Rechte der Eltern“.

Es gehe darum, dass Kinder anhand einer der Entwicklung entsprechenden Weise angemessen „zu leiten und zu führen“ seien. Kinder seien zu hören, sie dürfen sich eine Meinung bilden. Beide Elternteile seien gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich. „Kinder brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur“, betonte Mazal: „In der öffentlichen Debatte reden wir über Infrastruktur und über Geld.“ „Arbeitszeit“ und „Arbeitskräfte“ kommen in der gesellschaftlichen Debatte vor, aber nicht die notwendige „Familienzeit“, klagte Mazal. Die Europäische Menschenrechtskonvention spreche gar von einem „Recht auf Bildung“. „Wer Rechte nicht achtet, hat in Wahrheit ein Demokratieproblem“, sagte Mazal: „Das Recht ist Ausfluss und zentrale Gestaltungsform eines demokratischen Systems.“ Zusammenfassend, so Mazal: „Eigentlich eine heile Welt. Staat, Eltern und Schule sind verpflichtet, die Kinder zu umfassend gebildeten Bürgern einer Demokratie zu erziehen.“ Und: „Sie vermitteln Kindern das Rüstzeug zur Teilhabe, das bedeutet zur Bewahrung und Gestaltung der Gesellschaft.“

Der „Blutdruckwert“ der Gesellschaft

In der Realität hingegen gebe es einen Streit um Bildungsziele, um Organisationsformen und um Methoden, seit Jahrzehnten werde eine Bildungsreform  angedacht. „Was wäre Europa ohne das Bildungssystem der Klöster?“, fragte Mazal. Bildung setze im heutigen Verständnis ein mit dem Stichwort „Aufklärung“ (18. Jahrhundert). „Aber was wäre die Aufklärung ohne das, was zuvor war“, so Mazal. Kaiserin Maria Theresia habe dann mit der Schulpflicht Bildung „breiter aufgestellt“. Der folgende Josephinismus wollte einen „funktionierenden Staat, gute Arbeitskräfte und gute Soldaten“. In der Ersten Republik wollte der Sozialdemokrat Otto Glöckel „den neuen Menschen“. „Ich will keinen neuen Menschen“, sagte Mazal: „Aber ich bin mit dem alten auch nicht zufrieden. Nur sind wir damals stehengeblieben. Vielleicht sind wir alle nicht auf der Höhe der Zeit.“ In der Nachkriegszeit gab es in Österreich fast nur mehr Bildungspolitik-Blockaden, genannt Konsens-Demokratie. Mazal nannte auch den kritischen „Blutdruckwert der Gesellschaft“: 130 zu 100 zu 85 – dies seien Jahrgangsgrößen. Denn Ende der 1950er-Jahre wurden jährlich 130.000 Kinder geboren, die heute 40-Jährigen umfassen noch ein Kontingent von 100.000 Geborenen, heute würden jährlich nur mehr 85.000 Kinder geboren.

Bildung: worüber nicht gesprochen wird

In Österreich werde über das Ja und Nein zur Gesamtschule geredet, über das Ja und Nein zum Gymnasium oder über mehr Personal. Nicht gesprochen werde über Sprachprobleme, Qualitätsprobleme oder über disziplinäre und psychische Probleme (als Folgen der Pandemie), über Überforderung und Elternpflichten. Das Bildungsvolksbegehren habe ein Bildungssystem gewünscht, das u. a. auf den Prinzipien „Fordern und Fördern“ beruht und Chancengleichheit für alle Kinder bietet. „Nicht klar ist, warum aus diesen Überlegungen heraus die Ganztagsschule folgt. Und wie fordern und wie fördern?“, fragte Mazal. Nach wie vor präge das Bild vom „zoon politikon“ („der Mensch als soziales und politisches Wesen“) das Menschenbild. Was Menschen und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts brauchen? „Wir brauchen Antworten auf die Grundfragen des Lebens und der Gesellschaft“, betonte Mazal: „Woher kommen wir? Wo stehen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Ganzen?“ Die Schule des 21. Jahrhunderts brauche „Instrumente“ wie Vokabelwissen, Methodenwissen sowie Vernetzung, Urteilskraft und Neugier. Hinsichtlich der „Strukturen“ plädierte Mazal
u. a. für die „Förderung der Individualität und der Gemeinschaftsfähigkeit“.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
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