„Religion kann Teil der Lösung sein“
Religion und Ethik in Zeiten von Krieg
Es toben weltweit Kriege. Neben dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nun auch eine militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran. Aus diesem aktuellen Anlass lag der Fokus der Veranstaltung im Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog auf dem Nahen Osten. Zur Frage, was Religion in Zeiten von Krieg tun kann und wie Religionen eine mächtige Kraft für den Frieden sein können, hatte Dozentin Viola Raheb die drei Experten Brant Rosen, Mitri Raheb und Mohammed Abu-Nimer zur Diskussion eingeladen. Geleitet wurde die Diskussion im Bruno Kreisky Forum in Wien von Viola Raheb.
Religion soll keine Rechtfertigung für böse Taten sein
Die Idee zu dieser Veranstaltung habe sie schon lange im Kopf gehabt, sagte Viola Raheb zu Beginn. Sie zeichnete ein erschreckendes Bild der Rolle von Religion in derzeitigen Konflikten weltweit. „Das Mantra, welches wir immer hören“ sei das Vorgeben, im Namen Gottes oder dem Göttlichen zu handeln, während wir zum Töten und Entmenschlichen von anderen aufrufen und heilige Texte dazu verwenden, um die Ermordung von Menschen zu rechtfertigen, die man als anders ansieht oder die nicht derselben Ideologie folgen. Raheb schickte der Diskussion voraus, dass sie dem drei Stimmen aus drei verschiedenen Religionen entgegenstellen wollte – drei Menschen, die sich für einen anderen Weg einsetzen würden und mit dem ethischen Verständnis arbeiten, dass „jeder Mensch nach dem Abbild Gottes geschaffen wurde“.
„Jeder Mensch ist nach dem Abbild Gottes geschaffen.“
Viola Raheb
Religion gegen den Krieg
Professor Mohammed Abu-Nimer betonte, dass es in den vergangenen Jahren sehr hart gewesen sei, seine Kernprinzipien und seine Profession als Friedenswissenschaftler zu verteidigen. Zu den Prinzipien, die Abu-Nimer seinen Studenten vermitteln möchte, zählen Gewaltfreiheit, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Religion, Herkunft oder Sexualität dieselben Rechte genießen sollten und dass Konflikte friedlich gelöst werden sollten, wann immer das möglich ist. „In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren wird es viel Aufwand brauchen, um den Glauben an die Menschheit aufrechtzuerhalten“, sagte Professor Abu-Nimer und kritisierte die Missachtung von Menschenrechten und anderen Institutionen, die seit dem Zweiten Weltkrieg für die Erhaltung des weltweiten Friedens geschaffen wurden.
Laut Abu-Nimer sei es ein sehr gefährlicher Pfad, den wir als Christen, Muslime, Juden oder Buddhisten momentan beschreiten würden. Auch wenn wir uns in Europa oder Wien derzeit nicht betroffen fühlen würden, man wisse nie, wann es einen treffen werde. Das Prinzip sei es, zu handeln und einen klaren Standpunkt einzunehmen. Viele religiöse Plattformen hätten uns mit dieser Aufgabe im Stich gelassen. Die Dinge würden sich immer schneller in die Richtung bewegen, dass nur mehr Militäreinsätze als Lösung von Konflikten angesehen würden, warnt Abu-Nimer. Der Wissenschaftler kritisierte daher die momentane Entscheidung vieler Nationen aufzurüsten. Die Aufgabe von Religion sei es, eine alternative Stimme zu repräsentieren, so der Professor. Diese sollte auf Menschlichkeit, gleichen Rechten für alle und der Theologie der Befreiung gründen, um die Menschen vom irdischen Leiden zu erlösen. Dazu müssten die Religionen in einer Plattform gegen Krieg zusammenarbeiten.
„Aktuell werden Militäreinsätze als Lösung von Konflikten angesehen.“
Mohammed Abu-Nimer
Was wir bereit sind zu riskieren
Rabbi Rosen sprach über sein großes Vorbild, den Buchautor und Professor für Jüdische Studien Marc H. Ellis. Diesen brachte Rosen als Beispiel für einen Menschen, der sich trotz seiner unpopulären Meinung nicht zum Schweigen bringen ließ. „Erstmals kennengelernt habe ich die Arbeit von Marc Ellis, als ich in der Rabbiner-Schule war“, so Rosen. Er sei enorm prophetisch gewesen, in dem, was er geschrieben hat, erzählt Rosen über Ellis.
Der Autor habe für seine Aussagen einen hohen Preis bezahlt. Er habe keine Arbeit mehr gefunden und sein Leben mehr oder weniger im Exil verbracht. Als Brant Rosen eine ähnliche Situation in seiner Gemeinschaft durchgemacht hatte, war es Ellis, der ihn kontaktierte und Verständnis für ihn zeigte. „Es ist keine angenehme Erfahrung, im Exil zu sein. Es ist keine angenehme Erfahrung, diese Opfer zu bringen, aber im konkreten Moment ist es wichtig, sich die Frage zu stellen, was wir bereit sind zu riskieren“, so Rosen.
„Es ist keine angenehme Erfahrung, im Exil zu sein.“
Brant Rosen
Religion als Teil der Lösung
Pastor Mitri Raheb aus Betlehem sagte, dass alle Werkzeuge, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, um einen weiteren Weltkrieg zu verhindern, nun gefährdet seien: „Wie kann man heutzutage mit der Verletzung von Menschenrechten davonkommen? Das geht nur, wenn man sich auf eine Kraft, die größer ist als das Menschliche, bezieht – das göttliche Recht“, warnt Mitri Raheb vor dem Missbrauch von Religionen für eine politische Doktrin. Der Pastor betonte, dass man in allen drei abrahamitischen Schriften – Koran, Thora und Bibel – Texte für und gegen Menschenrechtsverletzungen finden könne. „Beides ist in den Schriften vorhanden. Was wir in den Schriften finden, sagt weniger über die Texte als über uns aus“, so Mitri Raheb. Und weiter: „Für mich sind diese Schriften wie ein Spiegel. Du findest dort, was du bist.“ Die Auslegung der Texte liege daher in unserer Verantwortung.
In Europa würde die Religion oft ddämonisiert und als Kriegstreiber angesehen, erzählt der Pastor. „Religion ist Teil des Problems. Religion kann aber auch Teil der Lösung sein. Religion braucht eine politische Vision, die sie unterstützen kann“, betont der Pastor. Man könne nicht erwarten, dass Religion mit einer Lösung aufwarte. Aber wenn die Zivilgesellschaft und die Politik eine nachhaltige Friedensvision entwerfen würden, könnte Religion diese unterstützen.
„Was wir in den Schriften finden, sagt weniger über die Texte als über uns aus.“
Mitri Raheb

Brant Rosen
ist rekonstruktionistischer Rabbi aus der progressiven Strömung des Judentums. Der Autor und Aktivist ist Gründer von Tzedek Chicago. Er ist des Mitgründer der „Jewish Voice for Peace Rabbinical Council“.

Mitri Raheb
ist lutheranischer Pastor, Theologe und eine prominente christliche Stimme in Bethlehem. Der Gründer der Dar al-Kalima Universität setzt sich für Frieden ein, kritisiert aber auch die Haltung Israels gegenüber Palästina.

Mohammed Abu-Nimer
ist ein Wissenschaftler, der sich auf Konfliktlösung und interreligiösen Dialog spezialisiert hat. Er ist Professor an der American University in Washington D.C.

Viola Raheb
ist Wissenschaftlerin für religiöse Studien, Dozentin, Autorin und Senior Fellow beim Bruno Kreisky Forum. Sie ist palästinensische Christin und Nahost-Expertin der von Kardinal König gegründeten Stiftung Pro Oriente.
Zum Bruno Kreisky Forum
Das Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog wurde im Jahr 1991, ein Jahr nach Kreiskys Tod gegründet, um jene Anliegen weiterzuführen, die dem ehemaligen Bundeskanzler (1970–1983) von der SPÖ Zeit seines politischen Lebens besonders am Herzen gelegen waren. Über Jahrzehnte hinweg war die private „Kreiskyvilla“ in der Armbrustergasse 15 in Wien der Schauplatz internationaler und nationaler Begegnungen ebenso wie ein Zentrum politischer Entscheidungsfindung. 1991 erwarb das Bruno Kreisky Forum mit Unterstützung der Republik Österreich die Liegenschaft, das zu einem Dialogforum adaptiert wurde.