„Religion kann Teil der Lösung sein“

Religion und Ethik in Zeiten von Krieg
Ausgabe Nr. 26
  • Weltkirche
Autor:
Religion und Ethik in Zeiten von Krieg bei der Veranstaltung sprachen Rabbi Brant Rosen, Moderatorin Viola Raheb, Pastor Mitri Raheb, Wissenschaftler Mohammed Abu-Nimer und Sabine Kroissenbrunner, Generalsekretärin vom Bruno Kreisky Forum.
Religion und Ethik in Zeiten von Krieg bei der Veranstaltung sprachen Rabbi Brant Rosen, Moderatorin Viola Raheb, Pastor Mitri Raheb, Wissenschaftler Mohammed Abu-Nimer und Sabine Kroissenbrunner, Generalsekretärin vom Bruno Kreisky Forum. ©Bruno Kreisky Forum

Unter dem Titel „Religion und Ethik in Zeiten des Krieges – Kann Religion eine Zuflucht für Frieden und Gerechtigkeit sein?“ diskutierten Montagabend der US-amerikanische Rabbi Brant Rosen, der lutheranische Pastor Mitri Raheb und Wissenschaftler Mohammed Abu-Nimer über die Bedeutung von Religion in Zeiten von Krieg.

Es toben weltweit Kriege. Neben dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nun auch eine militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran. Aus diesem aktuellen Anlass lag der Fokus der Veranstaltung im Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog auf dem Nahen Osten. Zur Frage, was Religion in Zeiten von Krieg tun kann und wie Religionen eine mächtige Kraft für den Frieden sein können, hatte Dozentin Viola Raheb die drei Experten Brant Rosen, Mitri Raheb und Mohammed Abu-Nimer zur Diskussion eingeladen. Geleitet wurde die Diskussion im Bruno Kreisky Forum in Wien von Viola Raheb.

Werbung

Religion soll keine Rechtfertigung für böse Taten sein

Die Idee zu dieser Veranstaltung habe sie schon lange im Kopf gehabt, sagte Viola Raheb zu Beginn. Sie zeichnete ein erschreckendes Bild der Rolle von Religion in derzeitigen Konflikten weltweit. „Das Mantra, welches wir immer hören“ sei das Vorgeben, im Namen Gottes oder dem Göttlichen zu handeln, während wir zum Töten und Entmenschlichen von anderen aufrufen und heilige Texte dazu verwenden, um die Ermordung von Menschen zu rechtfertigen, die man als anders ansieht oder die nicht derselben Ideologie folgen. Raheb schickte der Diskussion voraus, dass sie dem drei Stimmen aus drei verschiedenen Religionen entgegenstellen wollte – drei Menschen, die sich für einen anderen Weg einsetzen würden und mit dem ethischen Verständnis arbeiten, dass „jeder Mensch nach dem Abbild Gottes geschaffen wurde“.  
 

„Jeder Mensch ist nach dem Abbild Gottes geschaffen.“ 

Viola Raheb

Religion gegen den Krieg

Professor Mohammed Abu-Nimer betonte, dass es in den vergangenen Jahren sehr hart gewesen sei, seine Kernprinzipien und seine Profession als Friedenswissenschaftler zu verteidigen. Zu den Prinzipien, die Abu-Nimer seinen Studenten vermitteln möchte, zählen Gewaltfreiheit, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Religion, Herkunft oder Sexualität dieselben Rechte genießen sollten und dass Konflikte friedlich gelöst werden sollten, wann immer das möglich ist. „In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren wird es viel Aufwand brauchen, um den Glauben an die Menschheit aufrechtzuerhalten“, sagte Professor Abu-Nimer und kritisierte die Missachtung von Menschenrechten und anderen Institutionen, die seit dem Zweiten Weltkrieg für die Erhaltung des weltweiten Friedens geschaffen wurden. 

Laut Abu-Nimer sei es ein sehr gefährlicher Pfad, den wir als Christen, Muslime, Juden oder Buddhisten momentan beschreiten würden. Auch wenn wir uns in Europa oder Wien  derzeit nicht betroffen fühlen würden, man wisse nie, wann es einen treffen werde. Das Prinzip sei es, zu handeln und einen klaren Standpunkt einzunehmen. Viele religiöse Plattformen hätten uns mit dieser Aufgabe im Stich gelassen. Die Dinge würden sich immer schneller in die Richtung bewegen, dass nur mehr Militäreinsätze als Lösung von Konflikten angesehen würden, warnt Abu-Nimer. Der Wissenschaftler kritisierte daher die momentane Entscheidung vieler Nationen aufzurüsten. Die Aufgabe von Religion sei es, eine alternative Stimme zu repräsentieren, so der Professor. Diese sollte auf Menschlichkeit, gleichen Rechten für alle und der Theologie der Befreiung gründen, um die Menschen vom irdischen Leiden zu erlösen. Dazu müssten die Religionen in einer Plattform gegen Krieg zusammenarbeiten.
 

„Aktuell werden Militäreinsätze als Lösung von Konflikten angesehen.“

Mohammed Abu-Nimer

Was wir bereit sind zu riskieren

Rabbi Rosen sprach über sein großes Vorbild, den Buchautor und Professor für Jüdische Studien Marc H. Ellis. Diesen brachte Rosen als Beispiel für einen Menschen, der sich trotz seiner unpopulären Meinung nicht zum Schweigen bringen ließ. „Erstmals kennengelernt habe ich die Arbeit von Marc Ellis, als ich in der Rabbiner-Schule war“, so Rosen. Er sei enorm prophetisch gewesen, in dem, was er geschrieben hat, erzählt Rosen über Ellis. 

Der Autor habe für seine Aussagen einen hohen Preis bezahlt. Er habe keine Arbeit mehr gefunden und sein Leben mehr oder weniger im Exil verbracht. Als Brant Rosen eine ähnliche Situation in seiner Gemeinschaft durchgemacht hatte, war es Ellis, der ihn kontaktierte und Verständnis für ihn zeigte. „Es ist keine angenehme Erfahrung, im Exil zu sein. Es ist keine angenehme Erfahrung, diese Opfer zu bringen, aber im konkreten Moment ist es wichtig, sich die Frage zu stellen, was wir bereit sind zu riskieren“, so Rosen. 
 

„Es ist keine angenehme Erfahrung, im Exil zu sein.“

Brant Rosen

Religion als Teil der Lösung

Pastor Mitri Raheb aus Betlehem sagte, dass alle Werkzeuge, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, um einen weiteren Weltkrieg zu verhindern, nun gefährdet seien: „Wie kann man heutzutage mit der Verletzung von Menschenrechten davonkommen? Das geht nur, wenn man sich auf eine Kraft, die größer ist als das Menschliche, bezieht – das göttliche Recht“, warnt Mitri Raheb vor dem Missbrauch von Religionen für eine politische Doktrin. Der Pastor betonte, dass man in allen drei abrahamitischen Schriften – Koran, Thora und Bibel – Texte für und gegen Menschenrechtsverletzungen finden könne. „Beides ist in den Schriften vorhanden. Was wir in den Schriften finden, sagt weniger über die Texte als über uns aus“, so Mitri Raheb. Und weiter: „Für mich sind diese Schriften wie ein Spiegel. Du findest dort, was du bist.“ Die Auslegung der Texte liege daher in unserer Verantwortung. 

In Europa würde die Religion oft ddämonisiert und als Kriegstreiber angesehen, erzählt der Pastor. „Religion ist Teil des Problems. Religion kann aber auch Teil der Lösung sein. Religion braucht eine politische Vision, die sie unterstützen kann“, betont der Pastor. Man könne nicht erwarten, dass Religion mit einer Lösung aufwarte. Aber wenn die Zivilgesellschaft und die Politik eine nachhaltige Friedensvision entwerfen würden, könnte Religion diese unterstützen. 

„Was wir in den Schriften finden, sagt weniger über die Texte als über uns aus.“

Mitri Raheb

©Bruno Kreisky Forum

Brant Rosen

ist rekonstruktionistischer Rabbi aus der progressiven Strömung des Judentums. Der Autor und Aktivist ist Gründer von Tzedek Chicago. Er ist des Mitgründer der „Jewish Voice for Peace Rabbinical Council“. 

©Bruno Kreisky Forum

Mitri Raheb

ist lutheranischer Pastor, Theologe und eine prominente christliche Stimme in Bethlehem. Der  Gründer der Dar al-Kalima Universität setzt sich für Frieden ein, kritisiert aber auch die Haltung Israels gegenüber Palästina.

©Bruno Kreisky Forum

Mohammed Abu-Nimer

ist ein Wissenschaftler, der sich auf Konfliktlösung und interreligiösen Dialog spezialisiert hat. Er ist Professor an der American University in Washington D.C. 

©Bruno Kreisky Forum

Viola Raheb

ist Wissenschaftlerin für religiöse Studien, Dozentin, Autorin und Senior Fellow beim Bruno Kreisky Forum. Sie ist palästinensische Christin und Nahost-Expertin der von Kardinal König gegründeten Stiftung Pro Oriente.

Schlagwörter
Autor:
  • Cornelia Grotte
Werbung

Neueste Beiträge

| Heiter bis heilig
Anekdoten

Im Religionsunterreicht besprach die Lehrerin das Bekenntnis des Petrus aus dem Matthäusevangelium mit den Schülern. Bei der Wiederholung in der darauffoldenden Stunde verstand eine Schülerin beim Einflüstern, zum Schmunzeln der Kollegen, nicht Himmelreich sondern Himalaya.

| Spiritualität
Weltanschauungs-Serie Teil 9

Guruismus nennt man das Phänomen, wenn spirituell Lehrende, Coaches oder InfluencerInnen zu Leitfiguren mit umfassendem Einfluss auf das gesamte Leben werden. Warum es entscheidend ist, wem wir unser Vertrauen schenken.

| Wien und Niederösterreich
Seien Sie gegrüßt!

Seit mehreren Jahrhunderten ragt der Stephansdom über die Dächer Wiens. Was hat dieses Gebäude nicht alles (mit-)erlebt: historische Ereignisse, Glück und Leid der Menschen, Alltägliches genauso wie Ausnahmezustände. Was wäre, wenn der Steffl über all diese Vorkommnisse reden könnte? Was würde er erzählen?