Sommergespräche: Marie Mandelbaum

Wir sind mehr als Würmer
Ausgabe Nr. 34
  • Leben
Autor:
Hinreissend komisch und herrlich erhebend ist ein Theaterabend in „klettenheimers KleinKunstCafé“. ©Marie Mandelbaum und Jörg Klettenheimer

Wenn Marie Mandelbaum auf der Bühne steht, lacht man in einem Moment Tränen, im nächsten beginnt man, Dinge auf andere Weise zu sehen, und im übernächsten fühlt man, dass man gerade Teil von etwas ganz Großem ist.

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Marie Mandelbaum, vor fast 23 Jahren hast du mit deinem Mann, Jörg Klettenheimer, das KleinKunstCafé im 8. Bezirk eröffnet. Wann hast du gewusst, dass du Schauspielerin sein möchtest?

Marie Mandelbaum: Ich wollte immer zum Theater, schon in der Volksschule war Bühnenspiel mein wichtigstes Hobby. Meine Deutschlehrerin im Gymnasium hat mir vom Reinhardt Seminar erzählt und mich ermutigt, es dort zu probieren. Gleich nach der Matura habe ich es versucht und wurde aufgenommen. Das war der schönste Tag meines Lebens – nicht die Hochzeit! Mein Mann nimmt mir das nicht übel. (Lacht).

Während deiner Ausbildung hast du am Burgtheater und in der Josefsstadt gespielt, u. a. mit Heinz Marecek, Vilma Degischer oder Alfred Böhm. Richtig wohl gefühlt hast du dich dort nicht ...

Ich bin sehr harmoniebedürftig und hab’ es nicht gern, wenn gestritten wird oder schlechte Stimmung herrscht. Am Theater bin ich in Situationen gekommen, in denen ich nicht gewusst habe, wie ich mich wehren soll, zum Beispiel, wenn ältere Schauspieler sehr dominant aufgetreten sind und einen zur Schnecke gemacht haben und der Regisseur einem nicht geholfen hat. Auch beim Regietheater, wo der Schauspieler „aufgemacht“ wird, also emotional irgendwohin muss, wo er eigentlich nicht hin will, war ich mir nie sicher, ob das der richtige Weg ist.

Hast du deshalb Claus Peymanns Angebot abgelehnt, dich fix an die Burg zu holen?

Peymann hat mich gefragt, ob ich die Schauspielschule nicht lassen und gleich fix ins Burgtheater kommen möchte. Ich hab’ gesagt, ich will unbedingt die Schule fertig machen. Ich bereue eigentlich nichts in meinem Leben, weil ich finde, wir Menschen versuchen alle unser Bestes – aber vor Kurzem habe ich mich gefragt, warum ich das damals gesagt habe. Ich glaube, ich hatte ein bissel Angst vor dem Theater, dem Kämpfen um Rollen. Ich hab’ nicht gewusst, ob ich für diese Konkurrenz robust genug bin.

Dein Mann und du, ihr habt Wien dann erst einmal verlassen und in Deutschland euer Glück versucht ...

Wir haben unseren gesamten Hausrat auf dem Flohmarkt verkauft und sind mit unseren Rucksäcken und dem bisschen Geld einfach losgefahren. So verrückt muss man mal sein! (Lacht). In München, Kiel und Hamburg hat es uns nicht gefallen, in Berlin hatten wir kein Geld mehr. Jörg hat Theater gespielt, da gab’s aber wenig Geld. Ich musste uns über Wasser halten und habe in einem Krankenhaus geputzt, im Supermarkt Obst einlaminiert und bei Karstadt Herrenbekleidung verkauft. Das hat mich insofern bereichert, als ich jetzt weiß, man darf nie unterschätzen, was andere Menschen leisten.

Du bist seit mehr als 25 Jahren verheiratet. Ist es eine Herausforderung, gemeinsam zu leben und zu arbeiten, oder ein Erfolgsrezept?

Ich find’s super, dass wir alles gemeinsam machen. Als Kind habe ich mir das immer so vorgestellt, ich hab’ nie verstanden, dass man in der Früh weggeht und am Abend wiederkommt und fragt: ,Hallo Schatz, wie war dein Tag?‘ Das ist schon auch toll, aber ich wollte das nie, ich wollte alles gemeinsam erleben. Natürlich ist das manchmal schwierig, wir streiten und diskutieren relativ viel, weil wir oft etwas anderes wollen. Ich glaube, es ist egal, ob man sich den ganzen Tag sieht oder nicht, man muss sich immer zusammenraufen.

Dich interessiert und fasziniert das Trans­zen­dente sehr. Sehnst du dich auch auf der Bühne nach einem spirituellen Erleben?

Diesen spirituellen Moment suche ich, es ist mein Ziel, das irgendwann einmal zu erreichen. Ich möchte mich mehr versenken können auf der Bühne ... Wir alle wollen dorthin, wo wir frei sind, wo der Geist frei ist und das Herz, wo wir uns gut fühlen und über uns hinauswachsen. Ich sehe Kunst und Kultur, Theater und Musik als etwas, das uns hinaushebt über unser normales Menschsein, das uns daran erinnert, dass wir auch göttlich sind, nicht einfach nur Würmer. Auch wenn das Menschsein oft mühsam ist und wir uns klein wie ein Wurm fühlen. Wirkliche Künstler bringen dich dorthin, wo du spürst, dass du nicht nur ein Wurm bist.

Autor:
  • Monika Fischer
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