Drei Keulen schenken Freude

Sommerserie 2023 - Teil 6
Ausgabe Nr. 31
  • Leben
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Für den jonglierenden Theologen Reinhard Demetz ist „Freude fangen und weitergeben“ die Kurzformel des Christentums. ©Schauer-Burkart
Reinhard Demetz – Jongleur und Dogmatiker. ©Maldacker
Michael Masseo Maldacker ist Kapuziner und Journalist ©BSchauer-urkart

Abendessen bei Familie Demetz in Bozen. Heute kocht der Papa. Es soll Spaghetti geben. Der Topf mit Wasser ist frisch aufgesetzt, das Erhitzen dauert jetzt eine Weile. Papa Reinhard Demetz vertreibt sich die Wartezeit, indem er einige Bälle in die Luft wirft. Der Familienvater ist ein geübter Jongleur. Und seine Küche wird so manchmal zur Zirkusmanege. „Bei mir zu Hause liegen Jonglierbälle stets griffbereit“, grinst er.

Zirkus machen“ wie er es nennt, ist die große Leidenschaft des 44-jährigen Leiters des Seelsorgeamts der Diözese Bozen-Brixen. „Zirkus machen“ heißt dabei vor allem: Jonglieren mit Bällen oder Keulen, während er auf dem Einrad sitzt und seinen eigenen Körper balanciert. Mit 17 Jahren hat diese Faszination bei ihm angefangen. „Zirkus machen“ war sein Ding. Der gebürtige Bozner lernte schnell und konnte anschließend sein Studium mit dieser Kunst finanzieren. Mit der Begeisterung hatte der Theologe im Nullkommanix seine Frau angesteckt. Bald konnten sie gemeinsam auftreten, aber vor allem durch das Veranstalten von Kursen ihr Können weitergeben. In den Ferienzeiten in der Stadt Bozen und während des Jahres als Projekte an Schulen in ganz Südtirol. Von Sterzing bis Salurn, von Glurns bis Innichen.

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Menschenfischer und Ballfänger

Das Theologiestudium, das finanziert werden wollte, fand in Rom statt. Reinhard Demetz, der heute mit seiner Familie im Bozner Stadtteil Gries lebt, hat vierzehn Jahre lang in Rom studiert. Er ist promovierter Dogmatiker, ein talentierter Menschenfischer und ein talentierter Ballfänger. „Talent hilft zwar weiter, aber Artistik ist vor allem Übung“, klärt der Theologe auf. Das heißt: Man muss viel Zeit aufwenden, „etwa vergleichbar mit dem Erlernen eines Musikinstruments. Durch die Übung automatisieren sich die Bewegungsabläufe, außerdem baut sich die benötigte spezielle Muskulatur auf“, so der Vater von drei Kindern.

Die Leidenschaft weitergeben

Bis ins hohe Alter kann man Artistik betreiben, aber man lernt mit den Jahren die Automatismen langsamer und ist weniger beweglich, erzählt Reinhard Demetz. Deshalb tritt er jetzt auch nicht mehr auf, sondern beschränkt sich auf die Weitergabe seiner Kunst in Schulungen. „Wer Jonglieren lernt, entwickelt auch seine motorischen Fähigkeiten.“ Besonders bei Kindern ist das wichtig. Außerdem fördert Jonglieren die Konzentrationsfähigkeit. Den eigenen Kindern haben Reinhard Demetz und seine Frau Brigitte die Leidenschaft zur Artistik weitergegeben. „Die Kinder wurden von Geburt an zwangsbeglückt“, lacht er, „sie waren schon im Säuglingsalter bei den Kursen dabei.“ Sein ältester Sohn Gabriel ist inzwischen selbst als Trainer für Jonglage unterwegs.

Beim Jonglieren ist Gott im Spiel

Die Leidenschaft weiterzugeben ist der Hauptantrieb des jonglierenden Theologen. „Das, was mir gegeben ist“, seine Gnadengaben, nicht im Verborgenen zu behalten, „sondern mit anderen zu teilen“, macht Reinhard Demetz glücklich. Der hemdsärmelig-sympathische Dogmatiker verbindet diesen Antrieb mit dem siebten Vers im zwölften Kapitel des ersten Korintherbriefs. Er kann ihn zitieren: „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt.“ Das ist sein Verständnis von Freiheit. Die Freude am Tun ist ihm viel wichtiger als der eigene Ehrgeiz, die eigene Befriedigung. „Wenn mir Fehler passieren, aber das Publikum ist am Ende über die Darbietung erfreut, habe ich alles erreicht, was ich will.“ Für Reinhard Demetz ist „Freude fangen und weitergeben“ daher die Kurzformel des Christentums, „Gottesliebe und Nächstenliebe, die sich in mir, in meiner Person, begegnen dürfen.“ Nach einer kurzen Atempause ergänzt er: „So ist beim Jonglieren immer Gott im Spiel.“

Mit Menschen im Gespräch

Gott spielt auch im beruflichen Leben von Reinhard Demetz eine Rolle. Als Leiter des Seelsorgeamtes in der Diözese Bozen-Brixen schaut er, vereinfacht gesagt, dass Seelsorge bei jeder und jedem Gläubigen ankommt. Seine Mitarbeitenden im Amt und er sorgen für hauptamtliches Personal und werben für Ehrenämter, dass dem Glauben bis in den letzten Winkel in Südtirol eine Struktur bereitet wird. Er ist deshalb häufig bei den Menschen zu Gesprächen in den 281 Pfarreien der Diözese unterwegs. Auch abends und am Wochenende. Dabei war es für Reinhard Demetz nicht immer ganz klar gewesen, ob er sich für Theologie und Seelsorge entscheiden oder lieber die Jonglierkeulen wählen würde. „Ja, schon, Profi sein, Artist und Zirkus als Beruf, das war in meinem Leben immer wieder ein Thema“, gibt Reinhard Demetz preis. Oft waren geringe Gründe ausschlaggebend, dass er die akademische Laufbahn durchgezogen hat. „Ich hätte auf meinem Lebensweg nur an der einen oder anderen Kreuzung anders abbiegen müssen“, blickt der 44-Jährige zurück.

Übungen zur Körperwahrnehmung

Jonglieren ist für den Bozner Bewegung, nicht Ruhe. Die wirkliche innere Ruhe findet Reinhard Demetz beim Rennradfahren in den Dolomiten oder beim Gitarrespielen. Auch liest er gerne zur Entspannung ein Buch. Momentan ist dies „Sprich mit mir“ von T. C. Boyle. Mit dem Lesen hat auch sein Ehrenamt in der Kirche zu tun. Reinhard Demetz ist Lektor und Kommunionhelfer in St. Augustin in Gries, seiner Heimatpfarre. Außerdem begleitet er dort die Gruppen der Kommunionhelfenden und der Lektorierenden. Was er aus seinen artistischen Übungen weiß, bringt er auch ihnen bei: Übungen zur Wahrnehmung des eigenen Körpers, „wie stehe ich vor Leuten, wie trete ich mit ihnen in Beziehung?“ In seinem Ehrenamt macht Reinhard Demetz keinen Zirkus. Doch bald darf er wieder Spaghetti kochen. Und dann fliegen wieder Bälle und Keulen.

Frei werden: Sinnvolles erleben und tun

Um ein erfülltes Leben zu führen, ist es nicht nur wichtig, sicheren Halt zu haben, Beziehungen zu leben und sich selbst gerecht zu werden. Es braucht auch einen Kontext, den wir als sinnvoll erleben: eine sinnstiftende Aufgabe, ein als sinnvoll erlebtes Ziel in unserer Zukunft, etwas, nach dem wir uns ausstrecken können. Viktor Frankl nannte das „Erlebniswerte“ und „schöpferische Werte“. Wenn wir Sinnvolles erleben oder tun bzw. schaffen, dann macht das unser Leben lebenswert. Dabei kann es von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich sein, was wir als sinnvoll empfinden. Es ist gut, sich ab und zu die Frage zu stellen: Was soll ich mit meinem Leben anfangen? Wie will ich es führen? Innerhalb gewisser Gegebenheiten bin ich frei, mein Leben zu gestalten. Es liegt zunächst an mir, in welche Richtung es gehen soll. Wo ich Sinnvolles erlebe, tue oder schaffe, wo ich mein eigenes Leben in die Hand nehme und bewusst gestalte – da bin ich frei.

Franziska Jeremia Madl ist Dominikanerin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Ihre Praxis führt sie aus rechtlichen Gründen unter ihrem zivilen Namen Alexandra Madl.   
freiheit@koopredaktion.at

Autor:
  • Michael Masseo Maldacker
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