Die Anstößigkeit des Kreuzes

Wenn ein christliches Symbol verschwindet
Ausgabe Nr. 20
  • Theologie
Autor:
Gekreuzigter Christus
Mahnmal der Erinnerung: Das von den Nationalsozialisten im Oktober 1938 beschädigte Kreuz im Wiener Erzbischöflichen Palais. ©kathbild.at/Rupprecht
Der Leichnam Christi im Grabe
Der Leichnam Christi im Grabe: Das Gemälde des deutsch-schweizerischen Malers Hans Holbein beeindruckt durch die anatomische Präzision der Darstellung des toten Christus. ©gemeinfrei

Manchmal hängt man mittlerweile Kreuze ab im Namen der „religiösen Toleranz“ und der „weltanschaulichen Neutralität“. Zurück bleiben dann weiße Wände. Im Gespräch mit dem SONNTAG spricht der Wiener Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück über die heilsame Provokation des Kreuzes.

Was der letztlich ausschlaggebende Anlass für sein Buch war, will der SONNTAG vom Wiener Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück wissen. „Der Anlass ist biografisch mitmotiviert. 2017/2018 hat das Rektorat unserer Universität per Erlass verfügt, dass die bisherigen Hörsäle für die katholische Theologie aufgegeben werden und wir quasi mit der Lehre ins Parterre überführt werden“, sagt Tück. „Da gab es neue Hörsäle, die dann fächerübergreifend genutzt werden sollten, und zugleich wurde bestimmt, dass religiöse Symbole ab jetzt fernzubleiben hätten.“ Dieser Erlass hat Tück „damals etwas verstört“. „Und genauso hat mich verstört, dass man darüber universitätsintern gar nicht diskutiert hat, auch nicht diskutieren wollte und dass das einfach so hingenommen wurde.

Warum das lateinische Wort „Crux“ im Titel und nicht das vertraute deutsche Wort „Kreuz“?

JAN-HEINER TÜCK: Crux macht, so hoffe ich, neugierig. Und außerdem trägt das Wort ein gekipptes Kreuz als Buchstaben mit im Titel. So kann man jedenfalls das X lesen und das zeigt dann sozusagen graphisch schon das Problem an: Sind die Kreuze gewissermaßen im Kippen begriffen? Welche Transformationsprozesse gibt es? Wie ist theologisch darauf zu reagieren?

Ist dann die weiße Wand ohne Kreuz letztlich so etwas wie eine Privilegierung der Religionslosen im öffentlichen Raum, wie Sie in Ihrem Buch schreiben?

Die Politik der weißen Wand, die das Ergebnis des Rektoratsbeschlusses war, führt natürlich dazu, dass der Gesichtspunkt der weltanschaulichen Neutralität umfassend umgesetzt wird. Wir leben aber inzwischen in religiös pluralen oder weltanschaulich bunten Gesellschaften. Und wenn man jetzt jede Form von religiöser Markierung verbietet, führt das unter der Hand dazu, dass die negative Religionsfreiheit stärker gewichtet wird als die positive. Und das führt dann doch dazu, dass die Religions- und Konfessionslosen privilegiert werden. Und man muss, denke ich, auch noch dazu sagen: Leere weiße Wände bleiben selten leer und weiß. Die Ideologiekritik zeigt, dass ein semantisches Vakuum schnell durch andere Inhalte besetzt wird.

Das Kreuz ist mehr als einfach ein historisches Kultursymbol.

Jan-Heiner Tück

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Sind die Wände gegenwärtig noch weiß?

Ja, und die Idee des Buches war, diese weiße Wand jetzt mit unterschiedlichen Projektionen zu bespielen und einen ganzen Fächer an Zugängen zum Kreuz, zur Anstößigkeit des Kreuzes ins Bewusstsein zu heben. Und zugleich deutlich zu machen: Das Kreuz ist nicht nur Thema innerhalb der Theologie, sondern auch die Philosophie, die Literaturwissenschaft, die Kunstgeschichte sind mit Kreuzesdarstellungen konfrontiert und setzen sich damit auch akademisch auseinander.

Warum provozieren die Kruzifixe mit dem hingerichteten Gekreuzigten bis heute?

Wir leben in Gesellschaften, die Leid, Gewalt, Unrecht ungern wahrnehmen. Und das Kruzifix zeigt einen gewaltsam Hingerichteten und ist insofern verstörend. Man kann natürlich psychologisch sagen: Es ist zum Beispiel Kindern nicht zumutbar, den Leib des Gekreuzigten, den Corpus, zu sehen. Die Argumentation finde ich allerdings etwas heuchlerisch, weil wir alle wissen, dass im Medium von Film und anderen Formaten Gewaltdarstellungen schon früh auch auf Kinder und Jugendliche einwirken. Aber das Kreuz ist eine Provokation, die nicht selbstverständlich ist. Das Kreuz ist sicher mehr als einfach ein historisches Kultursymbol, das für die Geschichte Österreichs wichtig ist und allein deshalb präsent bleiben sollte.

In den Kreuzwegandachten in der Fastenzeit beteten wir oft: „Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.“ Wie ist dies zu verstehen?

Die erlösende und rettende Kraft des Kreuzes hat unterschiedliche Theologien hervorgebracht, um die Erlösung zu erläutern, die schon sehr früh in den Paulus-Briefen durch das Motiv anklingt: Er ist für uns und unsere Sünden gestorben. Jesus Christus ist am Kreuz an die Seite der Entwürdigten und Leidenden getreten. Und dadurch würdigt er und anerkennt er ihr Leiden. Das ist quasi das, was man mit dem Begriff Solidarität Christi mit den Entrechteten und Leidenden zum Ausdruck bringt. Auf der anderen Seite tritt er aber am Kreuz ein für die, die schuldig geworden sind, und befreit sie so von der Last ihrer Schuld. Das ist das, was mit dem Begriff Stellvertretung, früher auch Opfer, Sühne, zum Ausdruck gebracht wird. Das ist heute schwieriger geworden, das so zu erläutern, dass es auch für Zeitgenossen, die jetzt nicht mehr so religiös sozialisiert sind, verständlich gemacht werden kann.

Odysseus und die „Namenlosen“

Das von Univ.-Prof. Jan-Heiner Tück verfasste Buch „Crux“ wäre letztlich eine kulturpessimistische Klage, wenn nur das Verschwinden der Kreuze aus dem öffentlichen Raum in säkularen Gesellschaften lautstark beklagt würde. Tück macht hingegen die weißen Wände, die in den Hörsälen der Universität Wien entstanden sind, zur Projektionsfläche einer neuen Bebilderung. Er zeigt, wie facettenreich das Symbol des Kreuzes ist und welche vielfältigen Deutungen es im Bereich der Theologie, der Kunst, der Literaturwissenschaft und der Philosophie gefunden hat. So bedachten etwa die Kirchenväter Odysseus am Mast als Modell des Gekreuzigten, Platon dachte über den „gekreuzigten Gerechten“ in seiner „Politeia“ nach. Und Tück meditiert u a. die Erinnerungskultur anhand des „Friedhofs der Namenlosen“ beim Alberner Hafen in Wien.

Warum verwenden Sie dieses berühmte Bild aus dem Wiener Erzbischöflichen Palais auf dem Cover des Buches? Das beschädigte Kreuz gleichsam als Symbolbild?

Im Jahr 1938 hat nicht nur der sogenannte Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland stattgefunden, sondern im Oktober 1938 hat es eben auch einen theologiepolitisch bedeutsamen Vorfall gegeben. Kardinal Theodor Innitzer hat im Stephansdom vor etwa 7.000 Jugendlichen gesagt: Christus ist euer Führer. Ein Wort, das bei den Anhängern der Nationalsozialisten gleich für Anstoß gesorgt hat. Und einen Tag nach dieser Andacht hat dann eine Gruppe von aufgehetzten Hitler-Anhängern das Erzbischöfliche Palais gestürmt, Teppichstangen aus dem Stiegenhaus herausgerissen und sowohl das Mobiliar als auch ein Kreuzesbild malträtiert, durchlöchert, zerstört. Und man hat dieses Kreuzbild nach dem Krieg nicht restauriert und so daran erinnert, dass quasi die Ideologie des Herrenmenschen hier eine klassische Attacke gegen das Kreuz, das für die Schwachen, für die Ohnmächtigen, für die Leidenden steht, vorgenommen hat. Und insofern ist dieses Bild mit dem malträtierten Gekreuzigten ein Anstoß, über die Anstößigkeit des Kreuzes auch heute neu nachzudenken. Deshalb diese Darstellung auf dem Cover des Buches.

Haben wir uns schon so an das überall präsente Kreuz mit dem Gekreuzigten gewöhnt, dass wir den „Skandal“ des Kreuzes gar nicht mehr so richtig wahrnehmen – „für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit“ (1 Kor 1,23)?

Ja, es gibt natürlich eine gewisse Abstumpfung im Blick auf Kreuze, die vielleicht zu viel und zu oft angebracht worden sind. Aber die Anstößigkeit ist doch nicht ganz verloren gegangen. Zuletzt haben in Innsbruck Schülerinnen und Schüler gegen das Kreuz im Klassenzimmer protestiert. Auch religionspolitisch gibt es immer wieder Debatten, ob das Kreuz gewissermaßen noch öffentlich präsent bleiben darf oder ob man es nicht besser abhängt, so dass die Aussage des Paulus, dass das Kreuz für die Juden ein Ärgernis und für die Heiden eine Torheit ist, unter veränderten Bedingungen auch heute durchaus noch Gültigkeit hat.

Der Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski kannte die triumphalen Oster-Ikonen der Ostkirche, aber nicht das ihn letztlich verstörende Bild des toten Christus von Hans Holbein ...

Dostojewski hat tatsächlich das Museum in Basel aufgesucht, um sich den toten Christus von Holbein anzusehen. Und er hat 20 Minuten versteinert, verstört vor diesem Bild gestanden. Und ich selbst bin auch nach Basel gefahren, um mir das Bild nochmals anzuschauen. Es ist wirklich eindrucksvoll, wie hier mit anatomischer Präzision das Totsein des toten Christus zur Darstellung gebracht wird. Bei Dostojewski war diese Erschütterung eine doppelte. Auf der einen Seite hat er gedacht: In gewisser Hinsicht ist hier der neuzeitliche Atheismus bildlich vorweggenommen, dadurch, dass der Erlöser tot ist. Und auf der anderen Seite hat er im Sinne einer Theologie des Abstiegs Christi zu den Toten gesagt: Ja, das ist genau die Schwelle vor dem Umschlag zur österlichen Auferweckung, also der tiefste Tiefpunkt, den Christus in seinem Leiden für uns auf sich genommen hat. Man muss sich diesen Tiefpunkt in Erinnerung rufen, um dann die Freude des österlichen Umschlages auch mitvollziehen zu können.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
  • Stefan Hauser
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