„Der Himmel tut sich auf“

Sommerserie 2023 - Teil 8
Ausgabe Nr. 33
  • Leben
Autor:
Dompropst und Bischofsvikar Engelbert Guggenberger ist begeistert vom alpinen Klettern. ©Privat
Engelbert Guggenberger konnte durch sein aktives Leben am Berg auch seinen Glauben vertiefen. ©Maldacker
Michael Masseo Maldacker ist Kapuziner und Journalist ©BSchauer-urkart

„Tief durchatmen“, sagt sich Engelbert Guggenberger, „ruhig bleiben“. Der Donner um ihn herum trommelt ohrenbetäubend, Blitze zucken durch den Himmel und treiben ein schaurig-bedrohliches Schauspiel. Dann setzt der Regen ein. Erst wenige Tropfen, dann schüttet es in Strömen. Und Guggenberger hängt mittendrin, in einem Seil am Berg. An einer Steilwand des Torre Venezia in der Civetta-Gruppe. Gemeinsam mit einem verunsicherten Freund. Mit dem Unwetter hatten sie nicht gerechnet.

Das passiert im Gebirge immer wieder“, kann Guggenberger heute, in einem Sessel sitzend, ruhig sagen, „dass man vom Wetterwechsel überrascht wird.“ Engelbert Guggenberger ist Dompropst und Bischofsvikar in Klagenfurt und leidenschaftlicher Kletterer. „Alpines Klettern“, heißt es korrekt, präzisiert der Kärntner. Es ist diejenige Beschäftigung, die er in seiner Freizeit braucht, um frei zu werden, um Grenzerfahrungen zu machen, um über sich hinauszuwachsen.

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Entscheidung, Wagnis, Belohnung

Den Weg durch die Wand selbst zu finden („Es gibt ja keine Wegweiser“), ist für den sportlichen Theologen Faszination und Herausforderung zugleich. „Die Frage, wo ich meine Sicherungspunkte anbringen kann, gilt nicht nur an der Steilwand, sondern auch im Leben.“

„Wenn man oben auf dem Gipfel angelangt ist, hat man ein überwältigendes Gefühl, eine große Bestätigung seiner Leistung. Man ist über sich hinausgewachsen – davon zehrt man auch in anderen Bereichen des Lebens“, ist sich der Siebzigjährige sicher. Bis es zu dieser Belohnung auf dem Gipfel kommt, steht die Entscheidung, das Wagnis. „Ohne etwas zu wagen, kann man sich nicht weiterentwickeln, und wer beim Klettern etwas wagt, wird auch in anderen Bereichen des Lebens mutiger“, urteilt Engelbert Guggenberger, der bereits vor sechs Jahren ein Buch verfasst hat, das Klettertouren persönlich beschreibt, aber auch eine Lebensempfehlung im Glauben ist.

Von Kindheit an in den Bergen

Sein eigenes Leben hat ihm das Klettern schon früh empfohlen. Von klein auf ging es auf die Berge. Aufgewachsen als Sohn des Hüttenwirts des Hochweißsteinhauses in den Karnischen Alpen auf 1.900 Metern Höhe gehörte für den kleinen Engelbert Klettern zum kindlichen Leben. Mit drei Jahren stand er schon auf dem Monte Peralba, wie der Gipfel des Hochweißsteins auf Italienisch heißt, auf 2.694 Metern Höhe.

Heute, 67 Jahre später, blickt er auf unzählige Touren zurück, wovon die längste zwölf Stunden lang durch die Wand ging. Meist ist er in den Dolomiten unterwegs, „eine der tollsten Klettergegenden der Welt“, bewertet Guggenberger, für den Klettern zur Sucht geworden ist: „Wenn man einmal geklettert ist, will man’s immer wieder.“

Schwierigste Lebensphase

Wir kommen zu sprechen auf die härteste und schwierigste Zeit im Leben von Guggenberger. Es ist jetzt fünf Jahre her, als er vom Domkapitel zum Diözesanadministrator gewählt worden war und ein Jahr lang an der Spitze des Bistums Gurk-Klagenfurt und vor allem urplötzlich im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stand: Beim Wechsel von Bischof Alois Schwarz in die Diözese St. Pölten schrieb ein Wochenmagazin kritisch über den Lebens-, Führungs- und Kommunikationsstil des Bischofs und berichtete dabei über großen Frust vieler Gläubiger in der Diözese über das Agieren des Bischofs. „Da der Bischof Antworten auf die Vorwürfe weitgehend schuldig blieb, richtete sich die öffentliche Forderung nach Aufklärung und Transparenz nun an mich als Diözesanadministrator“, blickt Guggenberger zurück. Der promovierte Moraltheologe wählte den Weg der Transparenz und stellte sich auf die Seite der um Glaubwürdigkeit ringenden Ortskirche. „Das ist in Rom nicht gut angekommen“, erinnert sich der Dompropst an das Spannungsverhältnis.

Bergmessen

Engelbert Guggenberger hat aus jener Zeit viel gelernt. „Nur, wenn man sich den Spannungen des Lebens stellt, kann man Lebensfreude entwickeln“, ist für ihn eine wichtige Weisheit aus seiner eigenen Erfahrung. „Der dynamische Mensch drängt auf die Entfaltung seines Wesens, das schafft Lebensfreude“, erörtert er. „Angst oder Bequemlichkeit, einfach nur die Füße hochzulegen, trüben hingegen die Lebensfreude.“

Durch sein aktives Leben am Berg ist der Theologe nicht nur der Lebensfreude begegnet. Er konnte auch seinen Glauben vertiefen. „Wenn du der Mächtigkeit der Berge gegenüberstehst, siehst du, es gibt etwas Großartiges, was nicht der Mensch gemacht hat. Das führt ganz natürlich zu einer Religiosität“, meint der ehemalige Generalvikar aus dem Lesachtal, „da tut sich der Himmel auf.“ Den Glauben und die Berge verbindet Engelbert Guggenberger auch heute noch regelmäßig, indem er mit Gläubigen Bergmessen auf Kärntner und Tiroler Gipfeln, Almen und bei Schutzhütten feiert.

Den Alltag durchbrechen

Ähnlich wie die Berge ist für den Siebzigjährigen die Musik ein Rückzugsgebiet. Seit seiner Jugend spielt er Kontrabass in einer volkstümlichen Musikgruppe. „Bauernjazz“, wie er sagt. Er, der ebenso gerne Klassik und Rockmusik hört. Besonders angetan haben es ihm Queen und Deep Purple. „Auch durch Musik wird der Alltag durchbrochen und der Himmel tut sich auf“, lacht der Leiter des Domkapitels Gurk-Klagenfurt, der auch Vorsitzender der Ökumenekommission und Zuständiger für die Orden in seinem Bistum ist.

Gelassenheit und Gottvertrauen

Der Himmel tut sich auch in der Steilwand am Torre Venezia auf. Das Unwetter hat sich verzogen. Die beiden Freunde kehren unverletzt zurück. „Angst und Hoffnung liegen immer sehr nah beieinander“, bilanziert Kletterer Guggenberger, nicht nur im Rückblick auf seine brenzligsten Momente. „Entscheidend sind dabei Gelassenheit und Gottvertrauen.“ Auch beim stärksten Gewitter in der steilsten Wand.

Frei werden: Freiheit für andere(s)

Wussten Sie, dass es eine „negative“ und eine „positive“ Freiheit gibt? Das meint nicht, dass die eine gut und die andere schlecht wäre. Negative Freiheit ist die Freiheit von etwas (z. B. von inneren und äußeren Zwängen), während positive Freiheit die Freiheit für etwas ist (z. B. die eigene Einstellung wählen zu können). Beides ist natürlich eng miteinander verbunden, denn nur wenn ich von bestimmten Dingen frei bin, bin ich auch frei für andere(s). Außerdem ist meine Freiheit nicht unbegrenzt. Bekanntlich endet sie dort, wo die Freiheit der anderen beginnt – das macht es ganz schön kompliziert. Meine Freiheit darf die Rechte anderer nicht verletzen, daher ist sie immer auch mit Verantwortung verbunden. Ich bin verantwortlich dafür, wie und wofür ich sie einsetze. Was fange ich an mit dem freien Willen, den Gott mir geschenkt hat? Nutze ich meine Freiheit sinnvoll auch zum Wohl anderer? Nur wo auch andere frei sind – da bin ich frei.

Franziska Jeremia Madl ist Dominikanerin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Ihre Praxis führt sie aus rechtlichen Gründen unter ihrem zivilen Namen Alexandra Madl.   
freiheit@koopredaktion.at

Autor:
  • Michael Masseo Maldacker
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