Der Denker am Berg

Sommerserie 2023 Teil 4
Ausgabe Nr. 29
  • Leben
Autor:
Vizerektor, Familienvater, Bergsportler: Nikolaus Janovsky ist leidenschaftlich Mensch. ©animont.at
Nikolaus Janovsky lehrt an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Edith Stein. ©Maldacker
Michael Masseo Maldacker ist Kapuziner und Journalist ©BSchauer-urkart

Ist es Hobby oder Leidenschaft? Ist es Klettern oder Extrembergsteigen? „Ich bin einfach am Berg“, nennt es Nikolaus Janovsky.

Nikolaus Janovsky schätzt die Untertreibung. Denn mit „am Berg sein“ meint der 42-jährige Innsbrucker nicht den beschaulichen Aufstieg zum Wandern. Er meint: Senkrechte Felswände, tiefste Abgründe und höchste Gipfel. Ab einem Niveau, ab dem sich andere längst ängstigen, beginnt für Nikolaus Janovsky die Normalität, „die Komplexität“, wie er es nennt, ab dann wird’s für ihn erst spannend. Den höchsten Berg der Alpen, den Montblanc? Unzählige Male erklommen! Nikolaus Janovsky ist aber kein Höhenjäger. Das Angeben, das Prahlen mit seinem Geleisteten am Berg liegt ihm völlig fern. Der promovierte Dogmatiker ist ein Denker – am Schreibtisch, im Hörsaal seiner Hochschule und eben am Berg. Für den gebürtigen Innsbrucker ist es eine Selbstverständlichkeit, in die Berge zu gehen.

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Von oben ist alles klein

Im Alter von drei Jahren hat er damit begonnen. „Gefühlt schon das ganze Leben“ begleitet ihn die Nordkette über Innsbruck, seine Hausberge. Und das ist beim jugendlich wirkenden Vizerektor der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Edith Stein bis heute so geblieben. Die Nordkette lockt ihn jeden Tag, und zumindest einmal pro Woche erhört er diesen Lockruf. Nach Feierabend sucht er den Aufstieg, „den Auslauf, das Abschalten“, wie der zweifache Familienvater es nennt. „Der Blick von oben auf die Straßen und Häuser des nächtlichen Innsbruck ist einfach unbeschreiblich, es sieht von oben alles so klein aus.“

Mit anderen gehen

Vor zehn Jahren hat der Innsbrucker eine Ausbildung zum Bergführer absolviert. Bis heute führt er regelmäßig Menschen auf den Berg. Sein größtes Empfinden auf seinen Touren, die natürlich nicht nur auf die Nordkette führen, fällt dem Wissenschaftler spontan ein: „Wenn ich mit Menschen über den Gletscher gehe, und sie sehen zum ersten Mal ein Gletschertor, den Ausgang des Gletschers, wo einem das Licht entgegenkommt, und sie sind vom Anblick tief berührt – das ist jedes Mal ein besonderes Erlebnis, ein besonderer Moment.“

Immer mehr Erkenntnis

Komplex ist das noch nicht. „Komplex“ heißt für ihn ein Kalkulieren, ein Bewerten: die Gesteinsqualität des Bergs, die Absicherung am Berg, das Wetter am Berg, die Übernachtungsgelegenheit am Berg und so weiter, und so weiter. Dahinter steckt mehr als Berechnung, dahinter steckt ein Verhalten, das nach immer neuen Erfahrungen und Erkenntnissen am Berg sucht. Jede Tour muss durch ihre Einzigartigkeit von Janovsky immer wieder neu gedacht werden. „Ich muss auf jeder Tour immer neue Entscheidungen treffen. Weil die Umstände am Berg so oft wechseln, kann ich nicht einfach auf einmal getroffene Entscheidungen zurückgreifen. Ein und derselbe Fleck kann heute ganz anders einzuschätzen sein als gestern“, sagt der Bergenthusiast.

Der Gipfel ist nicht das Ende

Als Beispiel einer komplexen, mehrtägigen Erfahrung erzählt der 42-Jährige über eine Tour zum Montblanc, die er mit Freunden unternahm. Sie wählten – natürlich – eine komplexe Route. Stundenlang hingen die drei im Seil, arbeiteten sich Meter um Meter voran. In 3.500 Metern Höhe, nah, aber kalkulierbar am Abgrund, fanden sie einen Schlafplatz für die Nacht. So ging die Herausforderung weiter, bis auf 4.807 Meter Höhe. Und dann muss ja auch der Abstieg geschafft werden. „Der Gipfel ist nicht das Ende der Tour, sondern lediglich der Umkehrpunkt.“ Der Abstieg ist wieder komplex. Für solche Touren hatte Nikolaus Janovsky ausreichend Möglichkeiten zum Üben. Als Student führten ihn Auslandsaufenthalte auf hohe Berge. Vor zwanzig Jahren  ging es nach Nordindien in den Himalaya. Auf den Philippinen lockten ihn die Berge und die Regenwälder. In Marokko der Hohe Atlas, in Kirgisistan das Tienschan-Gebirge. Diese Touren erden den Wissenschaftler. Während andere auf dem Polster zur Ruhe kommen, muss Nikolaus Janovsky auf den Berg. Nicht Gefahr, sondern Stillstand macht ihn unruhig. „Keine Bewegung zu haben, das macht mich unrund“, sagt der Bergsportler.

Was Religion ist

Als Vizerektor einer Pädagogischen Hochschule organisiert er Studien für angehende Lehrkräfte aller Fächer. In diesem Semester hält er eine Lehrveranstaltung, die sich unter der Fragestellung „Was ist Religion?“ mit religiösen Phänomenen im Alltag befasst: Ist zum Beispiel Fußball Religion? Ist Esoterik Religion? Ist Politik Religion? Nikolaus Janovsky erzählt von seinen theologisch-pädagogischen Studien ähnlich begeistert wie von seinem Drang zum Berg. Der Dogmatiker forscht auch über Lebenswelten von Jugendlichen. Etwa die Frage, weshalb sich Jugendliche von der Kirche abwenden. „Existenzielle Fragen stellen sich Jugendliche auch heute noch, wie es schon immer war und wie es immer sein wird“, analysiert der Theologe. „Aber sie nehmen heute die Kirche nicht mehr wahr als jemanden, der ihnen hilfreiche Antworten gibt.“

„Ich suche nicht die Gefahr“

Keine hilfreichen Antworten erhält Nikolaus Janovsky von Politikern und Politikerinnen, die den menschlichen Einfluss auf die Klimaerwärmung leugnen. „Der Klimawandel macht das Bewegen am Berg gefährlicher“, bewertet der Bergführer und Wissenschaftler. „Wenn der Permafrost auftaut, lösen sich große Felsbereiche und der Rückgang der Gletscher lässt mehr Spalten entstehen.“ Aber macht eine zunehmende Gefahr Touren nicht komplexer, ganz in seinem Sinne? „Ich suche nicht die Gefahr. Ich suche das Einschätzenkönnen von Gefahr und eine Möglichkeit, mich darin zu bewegen.“

Frei werden: Das Leben mögen

Damit wir uns als Kinder gut entwickeln können, brauchen wir ein Gegenüber, das uns nicht nur korrigiert und erzieht, sondern uns v. a. beachtet, sich mit uns beschäftigt und uns wertschätzend begegnet. Wir brauchen das Gefühl, wirklich gesehen zu werden. Auch als Erwachsene sind wir auf Menschen angewiesen, die uns Zeit schenken und mit denen wir Nähe erleben können. Wir sind keine Inseln, die sich selbst genügen. Wir brauchen Beziehung! Dort, wo ich solche positiven Erfahrungen mache, wo ich Beachtung und Wertschätzung erfahre, bekommt mein Leben Geschmack. Da kommt Freude auf! Wenn ich das Leben mag, spüre ich auch, was es wert ist. Ich bekomme Lust darauf, es aktiv zu gestalten, meine Werte zu leben, meinen Interessen zu folgen, meinen Hobbys nachzugehen, meine Beziehungen zu pflegen und Freunde zu treffen. Dann will ich diese Erfahrungen auch anderen Menschen ermöglichen. Wo ich das Leben als lebenswert empfinde – da bin ich frei.

Franziska Jeremia Madl ist Dominikanerin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Ihre Praxis führt sie aus rechtlichen Gründen unter ihrem zivilen Namen Alexandra Madl.   
freiheit@koopredaktion.at

Autor:
  • Michael Masseo Maldacker
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