Avraham Roets Kampf gegen das Vergessen

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945
Ausgabe Nr. 18
  • History
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Plötzlich verachtet: Die jüdische Familie Roet musste den gelben Stern tragen, der sie zunächst als Ausgegrenzte und schlussendlich als Verfolgte kennzeichnete. ©privat

Avraham Roet, ein 95-jähriger Überlebender der NS-Zeit, teilt seine bewegenden Erlebnisse und lebenslangen Lehren in Wien.

Die Lebensbotschaft des 95-jährigen Avraham Roet ist sein Einsatz wider das Vergessen. Er ist einer der letzten lebenden Zeitzeugen, der die Verfolgung als Jude durch die Nationalsozialisten erlebt und überlebt hat. Auch 2024 hat er bereits in Österreich Vorträge gehalten. Und Avraham Roet wird nicht aufhören zu sprechen, so lange er kann.

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Es war ein langer Tag für Avraham Roet. Der 95-jährige Herr steigt langsam über die Stufen der schmalen Treppe in der israelischen Residenz in den ersten Stock. Hier lebt sein Neffe David, seit dem Herbst des Vorjahres ist er Botschafter in Österreich. In dem vom Stararchitekten Adolf Loos geplanten Haus in Wien-Glanzing nimmt er in der Bibliothek Platz. Roet ist ein für sein Alter vitaler Mann. Jetzt am Abend vielleicht ein wenig müde, da er bereits mehrere Termine absolviert hat, einer davon in einer Schule, in der er Jugendlichen in Wien von seinem Leben als Verfolgter während der NS-Zeit in Holland erzählte. Er bittet um ein Glas Wasser. Sobald Avraham Roet aber über sein Leben spricht, sprudelt es aus ihm heraus: Erinnern und über das Erlebte sprechen, das ist dem Vater von vier erwachsenen Kindern zum Lebensauftrag geworden. Viele Zeitzeugen leben nicht mehr. Umso wichtiger ist es, die Möglichkeiten für eine Begegnung zu nützen und zu herzustellen. 

In der Parallelklasse von Anne Frank

Die Familie Roet hatte in den 1930er-Jahren in Amsterdam ein gutes Leben. Die fünf Kinder wachsen frei auf, sie lebten selbstverständlich integriert in der holländischen Gesellschaft. Das änderte sich mit der Annektierung des Landes durch die Nationalsozialisten 1940. Auf einmal durften die Roets nicht mehr mit der Straßenbahn fahren, sie wurden gezwungen, den gelben Stern zu tragen, der sie als Juden kennzeichnete. (Avraham ist im Bild rechts.) Der junge Avraham hat übrigens eine weltberühmte Mitschülerin in einer Parallelklasse: Anne Frank (1929–1945). Das hochbegabte Mädchen überlebte die Verfolgung nicht. Avraham und seine Brüder hatten Glück: Als die Deportationen begannen, tauchten sie unter. Wie konnte Avraham als Jugendlicher überleben? „Ich wurde von einer katholischen Familie versteckt. Es waren arme Bauern, die sich im Gegensatz zu den Wohlhabenden des Establishments um uns Juden kümmerten.“ Roet und drei Brüder sowie seine Eltern überleben die Zeit des Schreckens: „Nach dem Krieg entschied ich, nicht mehr in Holland zu leben.“  Avraham Roet geht  nach Palästina: „1946 habe ich mich zum ersten Mal wirklich frei gefühlt.“ Seine Brüder und seine Eltern folgen ihm nach Israel. Er engagiert sich im Unabhängigkeitskrieg, wird verwundet. Er überlebt auch diesen Krieg, gründet eine Familie. Der tatkräftige Mann wird Vorstandsmitglied im World Jewish Congress und setzt sich für die Restitution von Vermögen der Opfer der Shoah ein.

Schon wieder Krieg

Erschütternd ist es für Avraham Roet, dass Israelis seit dem 7. Oktober 2023 wieder angegriffen werden. Eine seiner Enkelinnen ist Aktivistin und hilft im Kriegsgebiet. Roet unterstützt die Bewegung „Bring them Home“ zur Befreiung der Geiseln in Gaza. Zurück in das Jahr 1945: Avraham Roets Schwester Adela (auf dem Foto in der zweiten Reihe links) erlebte die Befreiung aus dem KZ Auschwitz. Noch heute, 79 Jahre später, ist ihr Tod zu Tränen rührend. Nachdem sie alle Torturen überlebt hatte, schrieb die junge Frau voller Vorfreude an die Familie in Holland: „Ich habe überlebt wegen meines Willens und der Hilfe Gottes. In der Hoffnung, Euch bald wieder zu sehen.“ Zwei Tage danach starb Adela an Typhus, sie wurde nur 20 Jahre alt. Ihr so früher und tragischer Tod steht symbolisch für das Verbrechen an sechs Millionen Menschen. Avraham Roet erzählt stellvertretend für die verfolgten und getöteten Juden seine Geschichte, so lange er kann, denn: „Die Shoah ist eines der schlimmsten Dinge in der Menschheitsgeschichte.“ Und das soll auch die nächste Generation nicht vergessen. Avraham Roet sagt: „Erinnern, erinnern, erinnern.“

Autor:
  • Sophie Lauringer
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