Wo Hoffnung ist, ist auch Leben

Die Tugend, die jung hält
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Kauz blickt hoffnungsvoll aus seiner Baumhöhle
Kauz blickt hoffnungsvoll aus seiner Baumhöhle ©iStock/ Andyworks

Die Hoffnung ist ein Anker für die Seele, sagt Pater Anselm Grün, Hoffnung bewusst zu leben, ein wichtiger Dienst der Christen für die Welt, die Hoffnung braucht. Und: Wir hoffen heute auch mit der Schöpfung.

Tugenden sind keine altbackenen Verhaltensregeln für Moralapostel“, sagt Anselm Grün. Besonders die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe sind laut dem Benediktinerpater und Bestsellerautor DER Schlüssel zum Glück (siehe Buchtipp). Die Hoffnung spielt für uns Christen und für die Schöpfung heute eine ganz besondere Rolle, wie P. Anselm Grün im Interview mit dem SONNTAG sagt.

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Was bedeutet die göttliche Tugend für uns Gläubige?

P. Anselm Grün OSB: Göttliche Tugend heißt, dass es eine menschliche Tugend ist, die wir üben sollen, aber zugleich ein Geschenk, eine Gabe von Gott. Im Ersten Petrusbrief heißt es, dass wir Rechenschaft abgeben sollen, wenn wir gefragt werden nach unserem Hoffen. Offensichtlich haben die Leute in der Antike das Gefühl gehabt, die Christen haben eine andere Form des Lebens, geprägt von einer Hoffnung, die können anders leben in dieser Welt. Ich denke, dass wäre für uns Christen heute wichtig, dass wir in unserer Gesellschaft, die oft sehr pessimistisch ist, so wie ein Sauerteig der Hoffnung sind: dass wir hoffen auf ein besseres Leben. Natürlich hoffen wir auch auf ein ewiges Leben, aber wir sollen das nicht rein jenseitig sehen, sondern hoffen, dass das Reich Gottes kommt. Das ist ein wichtiger Glaubensanker und das Reich Gottes soll jetzt schon immer wiederkommen, indem Gerechtigkeit sichtbar wird und nicht Feindschaft und Ungerechtigkeit.

Kann man die Hoffnung in sich aktivieren oder ist sie ein reines Gnadengeschenk?

P. Anselm Grün OSB: Sie ist ein Gnadengeschenk, aber wir können uns auch dafür entscheiden. Die Hoffnung gehört wesentlich zum Menschen. Die Lateiner sagen: „Dum spiro spero – Solange ich atme, hoffe ich.“ Im Deutschen kennen wir das Sprichwort „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, d. h. wo keine Hoffnung ist, ist Tod und kein Leben. Hoffen gehört zum Leben. Es gibt kein Vater- und Mutter-Sein ohne den Glauben, dass das Kind sich gut entwickelt. Es ist etwas Wesentliches, das wir immer wieder in uns entwickeln sollen und uns dafür entscheiden sollen.

Was ist der Unterschied zwischen Hoffnung und Optimismus?

P. Anselm Grün OSB: Es gibt einen Zweckoptimismus, wo ich die Augen ein Stück verschließe und alles nur positiv sehe. Die Hoffnung sieht immer die Realität, wie sie ist. Sie hat trotzdem die Hoffnung auf das, was wir noch nicht sehen: dass im Menschen ein göttlicher Kern ist, dass die Liebe durchbricht durch den Hass.

Der jüdische Philosoph Ernst Bloch sagt: Wertvoll ist nur das menschliche Tun, dass von Hoffnung durchdrungen ist und das Hoffnung vermittelt. Firmen sind dann wertvoll, wenn sie mit dem, was sie tun, genau das schaffen. Das gilt für Dienstleistungen, aber auch für die Qualität von Produkten.

Ein Arzt hat mir erzählt, er sagt den Patienten immer die Wahrheit, aber er lässt hoffen. Hoffnung ist etwas Anderes als Erwartung, Erwartung – wie z. B. „Nächste Woche bist du gesund“ – kann enttäuscht werden. Hoffnung heißt zum einen, wir dürfen immer auf ein Wunder hoffen, aber es heißt auch: Du bist uns wertvoll, wir begleiten dich und wir hoffen, dass die Zeit, die dir geschenkt wird, eine wertvolle Zeit wird. Diese Tugend prägt unser Miteinander. Wenn man mit einem hoffnungslosen Menschen zusammen ist, zieht einem das die ganze Kraft weg.

Inwiefern ist die Hoffnung laut Hebräerbrief ein Anker für die Seele?

P. Anselm Grün OSB: Die Hoffnung ist ein Anker für die Seele, weil sie der Seele Kraft gibt, weil sie der Seele gleichsam Flügel verleiht, weil sie nicht nur in der Vergangenheit kreist, sondern auch nach vorne ausgerichtet ist. Joseph Pieper sagt, Hoffnung ist die Tugend der Jugend, die hält jung und lebendig. Während, wenn einer keine Hoffnung mehr hat, wird er gleichsam innerlich alt. Die Hoffnung hält die Seele lebendig, gibt ihr Flügel, dass sie jung bleibt.

Im Römerbrief heißt es, dass auch die Schöpfung Hoffnung in sich hat – was bedeutet das?

P. Anselm Grün OSB: Paulus sieht eine enge Verbindung zwischen Mensch und Kosmos bzw. Schöpfung. D. h., dass wir auch für die Schöpfung hoffen, dass die guten Kräfte stärker werden, aber das hängt auch von unserem Verhalten ab. Wenn wir die Schöpfung nur als Materie sehen, die wir benutzen und ausbeuten können, dann sprechen wir ihr die Hoffnung ab. Wenn die Schöpfung etwas Lebendiges für uns ist, wo wir Gottes Geist spüren, dann gehen wir gut mit der Schöpfung um. Die Hoffnung der Schöpfung ist, dass die Natur in sich auch die Kraft hat, Unglücke zu überwinden, Katastrophen, selbst Klimawandel. Die Schöpfung ist berufen, in Gottes Ewigkeit verwandelt zu werden, d.h. wir müssen ihr auch Hoffnung vermitteln.

Wie kann Hoffnung gelingen, wie können wir Träger der Hoffnung sein?

P. Anselm Grün OSB: B. Menschen nur begleiten, wenn ich die Hoffnung habe, dass sich ihre Wunden in Perlen verwandeln. Wenn ich analysiere, der ist hoffnungslos, da kann man nichts machen, dann entspricht das nicht der Würde des Menschen. Zur Würde des Menschen gehört, dass ich auch in dem, der noch so verletzt ist, die Hoffnung habe, dass die Wunden verwandelt werden können. Das gilt für jede Gemeinschaft, wenn es Konflikte gibt – die Hoffnung ist nicht etwas Passives, sondern die Hoffnung gibt mir Kraft, die Dinge anzugehen. Oder auch die religiöse Hoffnung: dass die Welt eben nicht nur den Mächtigen überlassen ist und so viel schiefläuft, sondern die Hoffnung haben, dass Gottes Geist trotzdem darin wirkt und dass sie in Gottes Hand ist – das heilt uns von dieser Bitterkeit, die manche haben, wenn sie auf die Welt blicken. Insofern ist die Hoffnung eine ganz wichtige Kraft. Für mich ist ein schönes Bild, dass die Christen Sauerteig der Hoffnung sind, auch für die Gesellschaft Hoffnungsträger sind.

Gerade in Zeiten der Bedrohung wie jetzt erscheint das wichtig …

P. Anselm Grün OSB: Es gibt die Angstmacher und Verschwörungstheorien, die sind alle von Angst geprägt. Hoffen heißt, die Realität sehen wie sie ist und trotzdem zu glauben, wir können es schaffen. Darauf zu hoffen, dass wir nicht nur dem Virus ausgesetzt sind, sondern dass auch die heilenden Kräfte, die Gott in die Schöpfung gelegt hat, stärker werden.

Was liegt Ihnen zu diesem Thema besonders am Herzen?

P. Anselm Grün OSB: Als ich über Hoffnung geschrieben habe, bin ich auch auf Negativaussagen gestoßen, z. B. auf das Sprichwort „Hoffen und harren macht manchen zum Narren“, als ob Hoffnung so was Irreales ist. Das ist so pessimistisch. Da gefällt mir das Wort vom Heraklit: „Wer nicht das Unverhoffte zu hoffen wagt, der wird es nie erreichen.“ Wir sollen auch das Unverhoffte erhoffen, letztlich ja auch hoffen auf ein Wunder, dass wir nicht allein gelassen sind.

Die Schöpfung hat in sich Hoffnung, aber auch wir müssen ihr Hoffnung vermitteln.

Sigrid Müller über die göttliche Tugend:

Hoffnung gehört zu den Kernhaltungen der Christen. In einer Untersuchung haben Forscher der Universität Wien festgestellt, dass Gläubige in der Corona-Krise eine größere Aktivität zeigen und problemorientierter sind. Sie suchen Unterstützung, wenn es nötig ist, und setzen sich bewusst mit der Krise auseinander. Dies sind Zeichen einer positiven Einstellung zum Leben: Das Schlimme ist nicht einfach vorgegeben; die Krise ist nicht das Schicksal, das man hinnehmen muss; die mögliche Gefahr muss man aber auch nicht leugnen, sondern kann der Realität ins Auge sehen und genau überlegen, was in der Situation an Gutem möglich ist.

Hoffen selbst im schlimmsten Fall

Diese Einstellung ist von der Hoffnung getragen, dass die Krise überwunden werden kann und dass die schlimmen Begleiterscheinungen durch gemeinsame Hilfe gelindert oder überwunden werden können. Selbst im schlimmsten Fall einer schweren Erkrankung kann man noch hoffen – nämlich, dass Gott uns im Sterben Halt gibt und dass wir im Tod von Gottes Liebe umfangen werden.

Das Wort zu definieren ist nicht einfach, weil sie sehr eng mit den anderen theologischen Tugenden verbunden ist, mit Glauben und Liebe. Für mich habe ich das Verhältnis einmal so beschrieben: Glaube ist die zur Gewissheit gewordene Hoffnung, dass Liebe den Tod überwindet.

Hoffen ist der Kern des Christentums

In Gott findet alles Leid ein Ende, alles Glück seine Beständigkeit, alles Sehnen des Menschen seine Erfüllung. Hoffnung ist daher die Haltung der Erwartung – von Liebe, vom Ende des Leides, von der Erfüllung von Sehnsucht. Die persönliche Einstellung, auch in Schwierigkeiten auf diese Ziele hin zu leben und alle Kraft und Energie dafür von Gott zu erbitten, das ist Hoffnung.

Autor:
  • Agathe Lauber-Gansterer
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