Von guten Mächten

Ausgabe Nr. 10
  • Hirtenhund
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Über die Bedeutung der Worte des Theologen Dietrich Bonhoeffer für die heutige Zeit.

Wie bremst man ein Rad, wenn die Bremsen versagen? Indem man dem Rad in die Speichen fällt, hineingreift. Hört sich verrückt und schmerzhaft an. Von bebilderten Theologen oder Bischöfen wird dieser Rat zum Rad gern mit Dietrich Bonhoeffer in Verbindung gebracht, der damit vor 90 Jahren seine Kirche auf den Widerstand gegen Hitler vorbereitete. Dieser Tage exakt vor 85 Jahren war es, dass eben jener Hitler den „Anschluss“ Österreichs verfügte. Warum zitiert der Hund Bonhoeffer? Weil sein Bild zuletzt bei Friedensgebeten zum ersten Jahrestag des Ukraine-Krieges gern zitiert wurde. Gewiss wohlmeinend, und doch mit schalem Beigeschmack. Denn Bonhoeffer meinte damit weit mehr als das Verbinden der Opfer. Er meinte politische Aktion, aktiven Widerstand, der den Tyrannenmord zum Ziel gehabt hat. Und der ihn letztlich in Folge des Attentats vom 20. Juli 1944 auf Hitler das Leben gekostet hat.

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Nun will ich natürlich kein gesalbtes oder ungesalbtes Haupt zum Tyrannenmord aufrufen – mich ärgert nur, wenn watteweiche Friedens- und Verhandlungsappelle aus der Komfortzone der Neutralität heraus mit historischen, ja dramatischen Zitaten dekoriert werden. Ja, ich bin auch für den Frieden. Wer bitteschön nicht? Und ja, ich halte Waffen für keinen Königsweg. Und ja, ich wäre auch froh, wenn es eine Verhandlungslösung gäbe. Aber mit wem bitteschön soll wer genau verhandeln? Und was sollte für Putin ein ausreichendes Druckmittel sein, sich aus der Ukraine – und sei es nur bis in die Ostukraine – zurückzuziehen? Die Drohung eines Gebetssturms?

Wir sind zweifellos gut darin, zu helfen. Wir schicken Krankenwagen und haufenweise Solidaritätsadressen. Aber insgeheim sind wohl nicht wenige froh, sich nicht aus dem Schatten der Neutralität wagen zu müssen. Bei Bonhoeffer gab es keine Neutralität. Und auch heute streiten seine Landsleutinnen in der deutschen evangelischen Kirche heftig und mit guten Argumenten auf beiden Seiten über die Frage nach dem rechten Verhalten (Waffenlieferungen? Friedensverhandlungen?) in dieser dramatischen Zeit. Mich beeindruckt der offene Richtungsstreit. Denn er zeugt von wacher Zeitgenossenschaft. Ähnlich wie mich jedes Mal aufs Neue Bonhoeffers zum gottesdienstlichen Hit geronnenes Gedicht „Von guten Mächten (wunderbar geborgen)“ beeindruckt. Denn es sprach ein Gottesbekenntnis in einer Zeit größter Dunkelheit. Wer Bonhoeffer heute zitiert, sollte daher vorsichtig sein. Denn seine Rede vom Griff in die Speichen meinte mehr als ein folgenloses Predigtwort.

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