Theresia vom Kinde Jesus

Mit 15 Jahren ins Kloster
Ausgabe Nr. 12
  • Theologie
Therese von Lisieux - Theresia vom Kinde Jesus
Theresia vom Kinde Jesus: Dieses Bild der Heiligen findet sich im Wiener Stephansdom. ©kathbild.at/Rupprecht
Josef Weismayer
Univ.-Prof. Dr. Josef Weismayer lehrte Dogmatische Theologie an der Universität Wien. ©kathbild.at/Rupprecht

Theresia vom Kinde Jesus (1873–1897) hat Europa nie verlassen. Trotzdem wurde sie 1925 von Papst Pius XI. zur Patronin der Weltmission erklärt. Der Dogmatiker Josef Weismayer spricht über die Bedeutung dieser französischen Karmelitin, deren sogenannter „kleiner Weg“ von der Liebe zu Gott und dem Nächsten handelt.

Die kleine Therese, wie sie oft genannt wird, war bald nach ihrem Tod gerade durch die besonderen Umstände ihres Lebens interessant. „Allerdings ist ihre Gestalt, gerade in den ersten Jahrzehnten nach ihrem Tod, etwas kitschig dargestellt worden“, sagt Josef Weismayer zum SONNTAG. Das gelte auch für die Formel vom „kleinen Weg“. „Ihr Ordensname war im vollen Wortlaut: Sr. Theresia vom Kinde Jesus und vom Heiligen Antlitz“, unterstreicht Weismayer: „Für Christen der Gegenwart ist Theresia faszinierend durch die ,Geschichte einer Seele‘, das heißt durch ihre autobiographischen Schriften. Der Stil Theresias ist jener der Frömmigkeitsliteratur des 19. Jahrhunderts, für manche Leserinnen und Leser eine Schwelle, die man überwinden muss, um zum eigentlichen Gehalt zu kommen.

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Theresia trat mit 15 Jahren 1888 in den Karmelitenorden ein und starb bereits neun Jahre später an den Folgen einer schrecklichen Tuberkulose. Was macht die so jung verstorbene Theresia zu einer Heiligen?

JOSEF WEISMAYER: Der erste Eindruck auf ihre Mitschwestern war nicht außerordentlich. Sie konnte das Gespräch einiger Mitschwestern über sie mithören, die darüber mutmaßten, was man einst über sie berichten würde: „Sie trat bei uns ein, lebte und starb ... Mehr ist wirklich nicht über sie zu sagen.“ Aber sie hat uns in ihr Inneres blicken lassen durch die autobiographischen Schriften, die sie uns hinterlassen hat.

Inwieweit ist Theresia uns noch heute ein Vorbild, etwa hinsichtlich des Betens?  

Ihr geistlicher Weg ist die Geschichte der liebenden Erwählung durch Gott. Dies kam vor allem in der „Geschichte einer Seele“ zum Ausdruck, die wesentlich zu ihrem geistlichen Format beitrug. Sehr vereinfacht gesprochen war das geistliche Ideal der Zeit und auch ihrer klösterlichen Gemeinschaft durch den Gedanken der Reparation, der Wiedergutmachung geprägt: Gott wird durch die vielen Sünden der Menschen beleidigt und gekränkt. Durch die „Werke der Frömmigkeit“ soll die Strafe Gottes für die Sünden aufgefangen werden. Die geistliche Gemeinschaft bietet durch die guten Taten und die Verzichtleistungen um Gottes willen einen „Ersatz“ an. Diese sehr „rechnerische“ und triste Spiritualität ist nicht die Linie von Theresia. Ihre Einstellung ist die des Liftes, nicht des mühsamen Stiegen-Steigens, wie sie dies selbst einmal formuliert. Dieser „kleine Weg“ ist ihre „Kurzformel“. 

Ihre Einstellung ist die des Liftes, nicht des mühsamen Stiegen-Steigens.

Josef Weismayer

Hatte Theresia in ihrem kurzen Leben ein Bekehrungserlebnis?

Von „Bekehrung“ in einem strengen Sinn kann man bei Theresia nicht sprechen. Theresia wurde in eine durch und durch spirituell geprägte Familie hineingeboren. Ihre Eltern überlegten je in ihrer Jugend einen Ordenseintritt, sie führten im Grund ein monastisches Leben. Papst Franziskus hat die beiden Eltern Theresias 2015 heiliggesprochen. Drei leibliche Schwestern Theresias traten in den Karmel von Lisieux ein, eine vierte bei den Heimsuchungsschwestern. Der französische Theologe Jean-Francois Six, ein Fachmann für ihre Biographie, spricht aber zu Recht von drei entscheidenden Ereignissen in ihrem religiösen Leben: der Weihnachtsbekehrung 1886, in der das Kind zur Erwachsenen reifte. Ein wichtiger Schritt war weiters die Feier des Dreifaltigkeitssonntags 1895. Sie wollte sich ganz der barmherzigen Liebe Gottes anvertrauen, im Vergleich zu jenen Seelen, die sich der Gerechtigkeit Gottes anbieten, um die über die Sünder verhängten Strafen abzuwenden. Für diese Aufopferung erachtete sie sich zu klein. Sie wollte einzig um der Liebe willen arbeiten. Diese totale Hingabe nahm Gott an in der Osternacht 1896, dem manifesten Beginn ihrer Todeskrankheit. Da trat sie ein in jene innere Nacht, die sie bis zum Tod begleiten sollte. 

Theresia erlebte sehr dunkle Stunden, auch in ihrem Gebetsleben. Wie sind diese zu deuten?

Es waren nicht nur dunkle Stunden, sondern Tage, lange Zeiträume, vor allem seit der Osternacht 1896 bis zum Ende ihres irdischen Lebens. Sie schrieb: „In den so fröhlichen Tagen der Osterzeit ließ Jesus mich fühlen, dass es tatsächlich Seelen gibt, die den Glauben nicht haben. Er ließ zu, dass dichteste Finsternisse in meine Seele eindrangen.“ Sie spricht auch von einer bis zum Himmel ragenden Mauer. Die todkranke Theresia versuchte diese Prüfung zu bestehen, indem sie die Werke des Glaubens tat, da ihr die Freude des Glaubens genommen war. Sie sieht sich am Tisch der Sünder sitzen.

Warum ist ihr „kleiner Weg“ beispielhaft für uns? Warum berührt ihr Glaubenszeugnis bis heute?

Der große Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar, der eine bedeutende Studie über die Spiritualität unserer Heiligen veröffentlicht hat, spricht ausdrücklich von einer lehrhaften Sendung Theresias. Sie selber wusste genau um diese doktrinäre Sendung und hat deren Bedeutung auch deutlich unterstrichen, zusammengefasst im Bild des „kleinen Weges“. Es geht um den Abbau allen Rechnens und Zählens von Leistungen und Verzichten, von Verdiensten. Es geht, um mit Balthasar zu sprechen, um den Aufbau der Liebe zu Gott und den Nächsten. Das ist der „kleine Weg“, der Weg zur Vertrautheit mit Gott. 

Welchen spirituellen Wert hat ihre Selbstbiographie?

Wenn man von „Selbstbiographie“ spricht, muss man die näheren Umstände mitbedenken. Im Auftrag ihrer leiblichen Schwester, die damals als Sr. Agnes von Jesus Priorin der Schwesterngemeinschaft war, sollte Theresia ab 1895 die Geschichte ihrer Familie und damit auch die ihres geistlichen Weges niederschreiben. Sr. Maria de Gonzaga, die Nachfolgerin von Sr. Agnes von Jesus als Priorin, beauftragte sie im Juni 1897 diese Erinnerungen fortzusetzen, trotz der Beschwerden der Todeskrankheit, im Juli 1897 konnte sie nur mehr mit Bleistift schreiben. Nach dem Tod Theresias haben die beiden verantwortlichen Priorinnen diese beiden Teile noch redigiert und zusammen mit einem ausführlichen Brief Theresias an ihre leibliche Schwester (im Karmel: Marie de Sacré Coeur) unter dem Titel „Geschichte einer Seele“ erstmals 1898 veröffentlicht. Es war ein erster Zugang zur „Seele“ der Heiligen, aber sehr verschattet durch die Redaktion der beiden Priorinnen. Der bedeutende Kenner der karmelitanischen Spiritualität P. Ulrich Dobhan spricht sogar von einer tiefgreifenden Entstellung der Person Theresias durch diese Eingriffe. Erst nach dem Tod von Sr. Agnes von Jesus, die von 1902 bis zu ihrem Tod 1951 fast ununterbrochen Priorin war, konnten die authentischen und unbearbeiteten Manuskripte Theresias 1956 veröffentlicht und übersetzt werden.
 

Theresia ist Patronin der Weltmission, ohne jemals Europa verlassen zu haben. Was dürfen wir uns unter diesem „Patronat“ vorstellen?  

Theresia ist ein Beispiel dafür, dass zur Vollgestalt christlicher Spiritualität ein universal-kirchlicher Bezug wesentlich dazugehört. Sie lebte auch im Kloster in der großen Gemeinschaft der Kirche. Im Manuskript B der „Geschichte einer Seele“, im Brief an ihre Mitschwester (und leibliche Schwester) Marie de Sacré Coeur, erklärt sie, dass sie am liebsten alle Berufungen in der Kirche, von denen Paulus in 1 Korinther 12 spricht, verwirklichen wollte. Da dies nicht möglich ist, will sie im Herzen der Kirche die Liebe realisieren. Ihr Bezug zur Missionsarbeit wird besonders deutlich im engen Austausch mit zwei Missionspriestern, deren Anliegen sie sich zu eigen machte und die sie vor Gott trug.

Am liebsten wollte Theresia alle Berufungen in der Kirche, von denen Paulus spricht, verwirklichen.

Josef Weismayer

Hans Urs von Balthasar nannte Theresia von Lisieux die „fröhlichste Heilige, die er kennt“ … Dürfen Heilige humorvoll sein?

Humorvollsein ist kein Gegensatz zum engen Verbundensein mit Gott. Eine traurige Heilige wäre eine „traurige“ Heilige. Theresia hatte eine sehr ausgeprägte literarische Begabung. In der französischen Originalausgabe ihrer Schriften finden sich neben 266 Briefen auch über 50 geistliche Gedichte und über 20 formulierte Gebete. Eine Gruppe von Texten stellen fromme „Recreationen“ dar, Szenen aus der Heiligen Schrift oder aus dem Leben von Heiligen, gestaltet als geistliche Szenen.

1997 wurde Theresia zur Kirchenlehrerin erhoben. Was „qualifiziert“ Theresia zur Kirchenlehrerin?

Papst Johannes Paul II. hat die heilige Theresia vom Kinde Jesus 1997 zur Kirchenlehrerin erklärt. Unser Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn hat an dieser ihrer Auszeichnung gutachterlich mitgewirkt. Johannes Paul II. hat im Apostolischen Schreiben „Divini amoris scientia“ die entsprechende Qualifikation eingehend dargelegt: Während ihres Lebens gingen Theresia ‚neue Lichter‘ auf, sie empfing vom göttlichen Meister jene ‚Wissenschaft der Liebe‘, die sie dann in einer sie kennzeichnenden Weise in ihren Schriften klar darlegte.  

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