Lieber Wein aus dem Weinviertel

Zum „Tag der Arbeit“ am 1. Mai
Ausgabe Nr. 17
  • Leben
Autor:
Weinstock
Der Klimawandel beeinflusst die Arbeitswelt: Im heimischen Weinbau hängt ein guter Wein-Jahrgang nicht nur von der Arbeit der Weinbauern ab, sondern von den oft unberechenbaren Begleitumständen der Erderwärmung, angefangen von der zunehmenden Trockenheit. ©I-Stock.com/francescomoufotografo
Univ-Prof. Dr. Alexander Filipović lehrt Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. ©privat

Die Zahl der Arbeitslosen in Österreich sinkt und zugleich steigt die Nachfrage nach Arbeitskräften in manchen Branchen der Wirtschaft. Warum das so ist und warum er aufgrund der Brisanz der Erderwärmung mehr kirchlichen Klimaaktivismus möchte, erklärt der Wiener Sozialethiker Alexander Filipović im Interview mit dem SONNTAG.

Vor dem „Tag der Arbeit“ am 1. Mai wird am 30. April der „Tag der Arbeitslosen“ begangen. Auf der einen Seite sinkt die Arbeitslosenrate in Österreich stetig. Auf der anderen Seite herrscht mittlerweile ein Arbeitskräftemangel in bestimmten Branchen. Wie passt das zusammen, wollte DER SONNTAG von Univ.-Prof. Alexander Filipović wissen. „Das sind ganz seltsame Dynamiken. Wir sollten auf der einen Seite froh sein, dass wir genug Arbeit haben und dass die Arbeitslosenquote sinkt“, sagt Filipović: „Dies war, neben der Frage, was gute Arbeit ist, immer ein besonderes Anliegen der christlichen Sozialethik.“ Arbeit sei mehr als nur Lohnerwerb. „Arbeit hat nicht nur die Funktion, Wertschöpfung für die Gesellschaft zu sein, sondern sie ist für die individuellen Personen immer auch Mittel für die Integration in die Gesellschaft“, unterstreicht der Sozialethiker: „Das heißt, ich bin tätig, ich habe etwas beizutragen und ich spiele eine Rolle in der Gesellschaft.“ Darüber hinaus haben auch der Kontakt am Arbeitsplatz, das Zusammensein mit Kolleginnen und Kollegen eine besondere Bedeutung für die Person. „Deswegen ist jede Arbeitslosigkeit, so klein die Quote auch sein mag, nicht gut und muss bekämpft werden“, sagt Filipović im Gespräch.

Und jetzt klagen manche Bereiche der Wirtschaft über einen Arbeitskräftemangel ...

ALEXANDER FILIPOVIĆ: Die Strukturveränderungen in der Wirtschaft stellen natürlich gehobenere Anforderungen an bestimmte Arbeit. Und die „Produktion von Arbeitskräften“ kommt dann nicht nach. Wir haben zu wenig Wohnbevölkerung im Bereich zwischen 25 und 65 Jahren, diese Zahl wird bis 2050 noch kleiner werden. Fachkräftemangel lautet das Stichwort. Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir durch Bildung und Zuzug tatsächlich genug Menschen haben, die die anfallende Arbeit auch machen.

„Der notwendige ökologische Wandel wird Kosten verursachen.“

Alexander Filipović

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Sie haben den Strukturwandel der Wirtschaft angesprochen. Vor mittlerweile fast 33 Jahren, am 17. Mai 1990, erschien der letzte Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe. In diesem „Brief“ haben die Bischöfe einige Fragen hinsichtlich einer menschengerechten Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft sowie eines Lebens in Solidarität und Verantwortung behandelt. Damals gab es noch kaum Digitalisierung. Ist dieser „Hirtenbrief“ noch einigermaßen aktuell? Oder braucht es eine Fortschreibung oder gar Neuformulierung eines Sozialhirtenbriefs? 

Ich würde dafür plädieren, die sozialen Fragen unserer Gesellschaft in Österreich zu thematisieren, und zwar aus der Perspektive der christlichen Sozialethik. Wir hatten den Wechsel hin zur Industriegesellschaft, dann den Wechsel hin zur Dienstleistungsgesellschaft, und jetzt transformiert sich der ganze Dienstleistungsbereich und natürlich auch der Industriebereich sehr stark. Die Herausforderungen, vor denen die ganze Gesellschaft steht, etwa die ökologische Transformation der Wirtschaftswelt und auch der Arbeitswelt, machen es unbedingt nötig, vertieft darüber nachzudenken, wie wir zusammenleben. Der notwendige ökologische Wandel wird Kosten verursachen. Die Herausforderungen für das Bildungssystem sind enorm, auch die Herausforderungen, ältere Menschen an die Arbeitsprozesse anzuschließen. Da gibt es viele Probleme, die Fragen der Gerechtigkeit betreffen, und deswegen wäre ich für eine Neuformulierung.

Also eines Sozialhirtenbriefs ...

Genau: eines Sozialhirtenbriefs oder eines Konsultationsprozesses. Es nützt ja nichts, nur ein Papier zu schreiben und dann zu publizieren. Es ist hilfreicher, der Politik Hinweise zu geben, wie aus der Perspektive der christlichen Kirchen Arbeit, Soziales und Gesellschaft organisiert werden sollen. Aber viel mehr ginge es darum, einen gesellschaftlichen Prozess zu starten, bei dem nicht nur Christinnen und Christen daran beteiligt sind, sondern alle, die in diesem Land wohnen. Die Fragen lauten: Wie wollen wir zusammenleben? Wer trägt die Kosten? Wie verteilen wir die Kosten der ökologischen Transformation? Wie organisieren wir Bildung? Was bedeutet es, digital oder im Homeoffice zu arbeiten? Wie trifft man überhaupt noch Menschen, wenn man nur noch zu Hause arbeitet? Wie transformiert sich das soziale Zusammensein? Können wir das alles allein durch Social Media oder durch das Internet kompensieren, was da wegfällt? Ich glaube, dass das wichtige Fragen sind. In einen solchen Sozialhirtenbrief würde ich auch das Stichwort der Synodalität aufnehmen. Das heißt, dabei von der ganzen Kraft der Erfahrung der Christinnen und Christen und anderer Menschen zu profitieren.

Stichwort „ökologischer Wandel“. Sie meinen, dass es noch mehr kirchlichen Klimaaktivismus bräuchte. Warum?

Weil hier alle in der Verantwortung stehen,  mitzumachen. Es klappt einfach nicht, wenn das nur wenige machen, wenn nur die jungen Menschen dafür kämpfen. Natürlich müssen es die Jungen machen, weil es unmittelbar um ihre Perspektive, um ihr Leben, um ihre Zukunft geht. Ich glaube aber, dass darüber hinaus alle gesellschaftlichen Kräfte mitmachen müssen, damit die ökologische Transformation gelingt, damit wir verantwortlich mit den Ressourcen umgehen, die wir geschenkt bekommen haben. Das ist, wie Papst Franziskus es genannt hat, unser aller gemeinsames Haus. Wenn wir das nicht mehr haben, dann steht es schlecht um uns. Und dann sind, glaube ich, auch unsere politischen Institutionen in Gefahr. Auch die Welt wird sich neu sortieren und formieren aufgrund des Klimawandels, auch durch klimabedingte Migration. Ich glaube wie Papst Franziskus, dass die Religionsgemeinschaften eine besondere Bedeutung haben für die Frage der ökologischen Transformation. Ich glaube nicht, dass dies ohne spirituelle Orientierung gelingen wird. Für  die Frage der Verhinderung eines noch stärkeren Klimawandels spielen Religion und Spiritualität eine wichtige Rolle. Da können wir uns als Christinnen und Christen einbringen und da müssen wir mitmachen.

„Ich wünsche mir von den Kirchenvertretern, dass sie aktiver sind.“

Alexander Filipovic

Nun haben sich bei ihrer jüngsten Vollversammlung im März die Bischöfe Österreichs eindeutig hinter die jugendlichen Klima-Demonstranten gestellt. Warum sollen wir da alle mitmachen?

Da sehe ich viele in der Pflicht, nicht nur Bischöfe. Auch Pfarrer und Menschen, die in den Pfarren aktiv sind. Es gibt eine kleine Gefahr beim Gottvertrauen: dass es Gott mit uns gut meint und dann wird auch die Erde nicht untergehen. Wir werden schon irgendwie umsorgt und versorgt werden. Aber die Brisanz der Erderwärmung braucht einfach mehr Aktivismus, auch aufsehenerregende Formen, um darauf hinzuweisen. Letztlich muss natürlich die Politik tätig werden und letztlich muss diese Politik unterstützt werden von einer Mehrheit der Menschen. Deswegen muss es einen Bewusstseinswandel geben. Es müssen die Fakten kommuniziert werden, es müssen die Fragen der gerechten Transformation gestellt und beantwortet werden. Ich wünsche mir von Kirchenvertretern, dass sie da noch aktiver sind.

Wie verhalten Sie sich klimagerecht?

Ich bin mir als Sozialethiker bewusst, dass es ohne die individuelle Perspektive nicht geht. Als Sozialethiker lege ich aber besonderen Wert darauf, dass Strukturen geschaffen werden müssen, die es allen möglich machen, sich klimagerecht zu verhalten. Zum  Beispiel Steuern auf jene Bereiche, die CO2 produzieren oder überhaupt eine ökologische Steuerpolitik. Oder spezielle Anreizsysteme, eine spezifische Förderung von lokaler Landwirtschaft. Diese Strukturen machen es mir dann wiederum einfacher, mich ökologisch korrekt zu verhalten. Also nicht unbedingt Wein aus Kalifornien oder aus Australien zu kaufen.

Das heißt, Sie trinken aufgrund der Klimagerechtigkeit lieber Wein aus dem Weinviertel??

Genau. Natürlich müssen wir in Zeiten, in denen durch die Inflation auch die Preise zum Teil in die Höhe geschossen sind, auf den Preis schauen. Und manchmal ist absurderweise der Wein aus Kalifornien billiger als der aus dem Weinviertel. Ja, außerdem schmeckt der Wein aus dem Weinviertel viel besser.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
  • Stefan Hauser
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