Leo XIV.: Vorhersehbare Überraschung

Im Nachhinein hätte man sich denken können, dass die Kardinäle einen wie Robert Prevost wählen würden. Einen, der die Kurie in Rom gut kennt und selber dort gearbeitet hat - den neuen Papst Leo XIV.
Denn beim „Teamwork der Kurie ist noch Luft nach oben“, wie es Kardinal Schönborn im ORF-Interview vornehm ausgedrückt hat. Franziskus hat ja das gemeinsame Gehen der Kirche forciert, war aber selber nicht der Typus des Teamkapitäns. So gab es im Vatikan wenig Zusammenarbeit, auch die Kardinäle haben sich in seinem Pontifikat selten zum Austausch getroffen.
Leo XIV. kann leiten
Leo XIV. hat nicht nur als Leiter des Dikasteriums für die Bischöfe in der Kurie gearbeitet. Auch die Tatsache, dass er zweimal weltweiter Chef des Augustinerordens war, zeigt, dass er leiten und verwalten kann. Die Augustiner hätten ihn sonst nicht ein zweites Mal gewählt. Weiters ist er gleichzeitig ein Mann des reichen Nordens und des armen Südens. Er ist in den USA aufgewachsen, hat aber lange Zeit in Peru gewirkt, zuerst für seinen Orden, dann als Bischof. Er versteht beide Welten.
Und dann ist er das genaue Gegenteil eines Selbstdarstellers. Kardinal Schönborn, der in letzter Zeit immer wieder mit ihm zu tun hatte, beschreibt ihn als guten und interessierten Zuhörer, als bescheidenen, ja demütigen Menschen. Vielleicht erschien es den Kardinälen angezeigt, ein amerikanisches Gegenmodell zu Donald Trump in der Weltöffentlichkeit zu platzieren, der ja, wie immer man auch zu seinen politischen Zielen stehen mag, jedenfalls ein Großmaul ist.
Das Spannende ist aber, dass man am Beginn eines Pontifikats überhaupt nicht sagen kann, wie es werden wird. Alle Päpste der letzten Jahrzehnte haben manche Erwartungen enttäuscht und manche Vorurteile durchkreuzt. Es würde mich sehr überraschen, wenn uns nicht auch Papst Leo XIV. immer wieder überraschen wird.