Hildegards Geheimnis: das Vertrauen auf Gottes Fügung

925. Geburtstag eines mittelalterlichen Stars
Ausgabe Nr. 37
  • Theologie
Autor:
Kirchenlehrerin seit 2012: Hildegard von Bingen ist die „jüngste“ der vier Kirchenlehrerinnen (Hildegardisaltar, Bingen). ©picturedesk.com

Vor 925 Jahren – 1098 – wurde Hildegard von Bingen geboren. Sr. Maura Zátonyi, eine Kennerin des Werkes der Heiligen, über die anhaltende Bedeutung dieser deutschen Kirchenlehrerin, Äbtissin, Dichterin, Komponistin und Mystikerin, die am 17. September 1179 starb.

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Warum ist Hildegard von Bingen so anerkannt – jenseits der „Medizin“ und der „Edelsteine“? Nämlich auch für Kirchenferne?

MAURA ZÁTONYI: Besonders die umfassende Kosmologie der heiligen Hildegard fasziniert uns heutige Menschen. Wie kaum eine Generation erleben wir, was Globalisierung bedeutet. Die Visionen Hildegards helfen uns diese unsere Erfahrung von einer Welt, in der alles mit allem zusammenhängt, zu deuten. Hildegard beschreibt die vielschichtigen Verhältnisse von Mensch und Welt, von sichtbaren Phänomenen und unsichtbaren Wirklichkeiten. Dabei hilft sie uns nicht nur beim Verstehen unserer Welt, sondern öffnet auch unseren Horizont, weil Hildegard die Natur als Gottes Schöpfung sieht und sie damit in Beziehung zu Gott, dem Schöpfer stellt. Zugleich weiß Hildegard um die Urverbundenheit aller Geschöpfe, die sich in einer den Naturdingen eigenen Solidarität ausdrückt. Der Mensch dagegen muss sich zum Angebot der Solidarität verhalten: Er kann Ja sagen und sich in Güte und Wohlwollen anderen Lebewesen zuwenden, aber er kann auch Nein sagen und sich seiner solidarischen Aufgabe entziehen. Die Konsequenzen sehen wir allzu gut in allen Bereichen unserer heutigen Welt.

War sie – für damalige Verhältnisse – eine mutige, resolute Frau?

Ein anderer Aspekt von Hildegards Beliebtheit liegt sicher auch daran, dass man in ihr eine starke Frau sieht, die furchtlos ihre Meinung mitteilte. Es ist jedoch eine anachronistische Projektion, Hildegard für den Prototyp einer Kämpferin für Frauenrechte zu halten. Sie hat als Frau alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten benutzt, um für ihre Überzeugung – und nicht für sich selbst – einzustehen: In der Kirche trat sie mit der Autorität einer Prophetin auf, in der Theologie entwickelte sie eine Ausdrucksweise, welche sich von der üblichen schultheologischen Begrifflichkeit unterscheidet und vielleicht gerade deshalb heute so erfrischend wirkt.

Was hat Hildegard von Bingen uns heute zu sagen – in Gesellschaft und Kirche? Was ist Hildegards Botschaft?

Hildegard lehrt uns einzusehen, dass wir die Kirche nicht nach menschlichen Maßstäben deuten, schon mal gar nicht nach menschlichen, gesellschaftlichen und weltlichen Kriterien reformieren können. In ihren Visionen können wir das wahre Wesen der Kirche erkennen: Ihr Ursprung ist in Gott und daher bleibt sie unverletzt inmitten der vielen äußeren und inneren Gefahren und Bedrohungen der Geschichte. Zugleich weiß Hildegard darum, dass die Sendung der Kirche, Gottes Liebe und Erbarmen in der Welt sichtbar zu machen, den Menschen anvertraut ist, mitunter sündigen Menschen, die, statt diese Mission zu erfüllen, die Kirche verdunkeln oder verunstalten. In diesem Sinne muss man jegliche Kritik Hildegards an den Klerikern lesen. Sie brennt aus Liebe zur Kirche und in dieser Liebe will sie uns Gläubige, allen voran die in der Kirche Verantwortlichen, aufrütteln und an unsere Sendung erinnern: die lebensspendende Kraft von Gottes Liebe in der Welt wirksam werden zu lassen.

Was begeistert Sie persönlich in der konkreten Nachfolge Hildegards?

Ich staune immer wieder darüber, mit welcher Weite Hildegard das Zeitgeschehen ihrer Epoche, aber auch die Ereignisse ihres Lebens betrachtet. Sie ist davon überzeugt, dass alles, was wir erleben und uns widerfährt, eine heilsgeschichtliche Bedeutung hat, das heißt, sie erkennt Gottes Handeln sowohl in der Geschichte als auch in ihrem eigenen Leben. Das ist meines Erachtens ihr Geheimnis: ihr völliges Vertrauen auf Gottes Fügung.

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Autor:
  • Stefan Kronthaler
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