Erwarten wir das Unerwartete!

ls Kardinal Schönborn nach dem Konklave zu Journalisten über die Person des neuen Papstes sprach, geschah etwas Aufschlussreiches: Der Kardinal pries die Persönlichkeit Leos XIV., mit dem er immer wieder zu tun hatte. Und er ließ durchblicken, dass er, hätte er noch mitwählen dürfen, Kardinal Prevost wohl seine Stimme gegeben hätte. Und dann fragte ein Journalist, wie denn der neue Papst zu den „heißen Eisen“ stünde, also Zölibat, Frauenpriestertum, Sexualmoral ... Kardinal Schönborns Antwort: „Ich habe keine Ahnung.“
Deutlicher hätte man die Rahmenbedingungen des Konklaves nicht zusammenfassen können, und das wurde auch von vielen Teilnehmern bestätigt: Es gab das große Tauziehen zwischen Konservativen und Progressiven gar nicht. Auch Leo XIV. lässt sich nicht einfach anhand einiger weniger doktrinärer Fragen einordnen. Wie denn sein Pontifikat werden wird, ist derzeit noch unergründlich: Alle Päpste der jüngeren Vergangenheit haben überrascht.
Die Bescheidenheit von Leo XIV.
Einen Aspekt möchte ich aber doch nennen: seine Bescheidenheit. In seiner ersten Predigt spricht er am Ende über die „unverzichtbare Anforderung für alle, die in der Kirche ein Leitungsamt ausüben: zu verschwinden, damit Christus bleibt, sich klein zu machen, damit Er erkannt und verherrlicht wird, sich ganz und gar dafür einzusetzen, dass niemandem die Möglichkeit fehlt, Ihn zu erkennen und zu lieben.“ Dass er sich im Gewand auf dem Balkon des Petersdoms „klassisch“ mit Stola und Mozetta gezeigt hat, interpretiere ich als Ausdruck dieses Kleinmachens: sich gleichsam unauffällig in die lange Reihe der Päpste einzuordnen. Wenn diese Demut echt ist – und danach sieht es aus – hat der Heilige Geist die Chance, auch durch diesen Papst Überraschendes zu wirken. Lassen wir uns vertrauensvoll darauf ein!