Klimawandel: Wie schaffen wir die Energiewende?

Schöpfung
Ausgabe Nr. 31
  • Leben
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Energie aus Wind, Sonne, Holz, Wasser
Richtige Mischung entscheidend: Solar- und Windenergie plus Wasserkraft und Biomasse sorgen für die Energieversorgung im Jahresverlauf. ©iStock/Alberto Masnovo
Raumplaner Gernot Stöglehner
"In einem Reihenhausgebiet können wesentlich mehr Haushalte von kürzeren Wegen profitieren, denn in einem solchem verringert sich die Parzellenbreite", sagt Gernot Stöglehner, Professor für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur. ©Markus A. Langer

Raumplaner und Energieexperte Gernot Stöglehner ist optimistisch. Mit bereits marktreifen Technologien ist die Energiewende schaffbar. Unsere Serie zum Klimawandel.

Warum ist eine Energiewende zwingend notwendig? 

Weil wir unser Klima zwingend schützen müssen. Wir sind mitten in einer Klimakrise, die immer spürbarer wird und auch immer öfter in den Nachrichten erkennbar ist: verschiedenste Naturkatastrophen wie Waldbrände, Tornados in Südbayern oder auch mittlerweile an der österreichischen Grenze, Dürren, Starkregenereignisse, Bergstürze, die offensichtlich im alpinen Raum zunehmend Einzug halten. Wir haben einen erheblichen CO2-Ausstoß, der Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre steigt kontinuierlich und damit wird es wärmer. Das hat massive Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Diesen Prozessen gilt es Einhalt zu gebieten oder diese so zu beeinflussen, dass wir auch langfristig für unsere künftigen Generationen ein lebenswertes Dasein ermöglichen, so wie wir es zurzeit kennen.

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Sind wir zu spät dran?

Die Erhöhung der Energieeffizienz, Reduktion des Energieverbrauchs und Umstieg auf erneuerbare Energien sind die großen Klimaschutzziele. Wenn es um den Strom geht, sind wir mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz durchaus vernünftig unterwegs: Ungefähr 20 Prozent des derzeitigen Strombedarfs wird gegenwärtig noch aus fossiler, 80 Prozent mit erneuerbarer Energie erzeugt. Hier müssen wir erreichen, dass 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen generiert wird.

Bei etlichen erneuerbaren Energieformen stehen wir vor der Herausforderung, dass der Strom nicht immer dann verfügbar ist, wenn er gebraucht wird, sondern dann, wenn z. B. der Wind weht, die Sonne scheint, ausreichend Wasser in den Flüssen vorhanden ist. Bei der Energieform Wasserkraft ist unter Klimawandelbedingungen anzunehmen, dass die Erträge sinken werden, gerade in bestimmten Jahreszeiten. Bei der Photovoltaik haben wir das Problem, dass in den Monaten Dezember, Jänner und Februar aufgrund der kürzeren Tage nur ein Bruchteil von dem Strom erzeugt wird, den die Anlagen grundsätzlich in der Lage sind zu produzieren. Die Hauptstromproduktion passiert in den Sommermonaten, in denen aber erfahrungsgemäß auch weniger Strom benötigt wird. Diese Problematik zeigt bereits, dass wir unseren Strom nicht ausschließlich aus einer einzelnen Energieform wie z. B. der Photovoltaik generieren können. Abhilfe würde hier eine völlig neue Speichertechnologie schaffen, die aber erst noch entwickelt werden muss. Was das Zusammenspiel von Photovoltaik und Windenergie anbelangt, ergänzen sich diese sehr oft. Das heißt in vielen Wetterlagen ist es entweder windig oder es scheint die Sonne. Windige Sonnentage hingegen sind sehr belastend für die Netze, vor allem dann, wenn der Strombedarf niedrig ist. Auch hier würden geeignete Speichersysteme Abhilfe schaffen.

Grundsätzlich erlauben uns verschiedene Energieformen, die in einem bestimmten Anteil miteinander kombiniert werden, die Energieversorgung im Jahresverlauf versorgungssicher zu gestalten. Ein derartiger Energiemix kann z. B. zu ungefähr gleichen Teilen aus Wind und Photovoltaik bestehen – zuzüglich bestehender Wasserkraft und einzelner kalorischer Kraftwerke auf Basis von fester Biomasse oder Biogas. In bestimmten Regionen sind auch noch Geothermiekraftwerke möglich, die sowohl Strom als auch Wärme produzieren. 
 

In der Debatte um die Energiewende zur Erreichung der Klimaschutzziele verstummen die Stimmen in Europa nicht, die auf Kernenergie setzen wollen. Die EU-Kommission hat Atomenergie als „grüne“ Art der Energieerzeugung eingestuft. Ist das vernünftig?

Ist es nicht. Mit Kollegen habe ich vor vielen Jahren im „International Journal of Critical Infrastructures“ einen Artikel über den Fußabdruck der Kernenergie verfasst. Wir haben den gesamten Lebenszyklus der Kernenergie analysiert. Der Knackpunkt ist nicht der Regelbetrieb, sondern der Unfall. Der Unfall kann passieren oder er kann mutwillig herbeigeführt werden. Das „mutwillig herbeigeführt“ kommt in den ganzen Risikoabschätzungen kaum vor. Wenn etwas bei der Kernenergie passiert, ist der Schaden sehr hoch. Landstriche könnten auf Jahrtausende unbenutzbar sein. Kernenergienutzung hat einen massiven militärischen Aspekt. In Atomkraftanlagen  kann  spaltbares Material für Atombomben gewonnen werden. Kriegerische Nutzung ist bei erneuerbaren Energieformen in dieser Form nicht gegeben. Es wird niemand auf die Idee kommen, mit Rotorblättern um sich zu schlagen oder sich gegenseitig Photovoltaik-Module auf den Kopf zu werfen. Darüber hinaus ist die Frage der Endlagerung der radioaktiven Abfälle bis dato nicht gelöst.

Viele sprechen jetzt vom Allheilmittel Wasserstoff. Wo ist das sinnvoll einzusetzen?

Das Nischenprodukt Wasserstoff hat Vorteile, aber auch Nachteile. Ein Vorteil ist, dass er erneuerbar gewonnen werden kann. Der Wasserstoff, den wir bis jetzt einsetzen, kommt aus fossiler Produktion und nur um den fossil erzeugten, in der Industrie verwendeten Wasserstoff erneuerbar herzustellen, bräuchten wir in der Größenordnung von 10 bis 15 Prozent mehr Elektrizität, als wir derzeit verwenden. Wird aus dem Wasserstoff wieder Strom gewonnen, ist der Wirkungsgrad relativ gering. Allerdings ist Wasserstoff ein Speichermedium mit einer hohen Energiedichte. Er kann saisonal eingesetzt werden, um das Winterloch der Photovoltaik-Produktion zumindest teilweise abzudecken. Sonst wird es in erster Linie im Transportsektor – Ozeanschiffe oder Flugzeuge in der Zukunft – oder in der Industrie, Stichwort Stahlproduktion, Anwendungen geben, wo die sehr hohe Energiedichte des Wasserstoffs notwendig ist. Nach derzeitigem Wissensstand sehe ich den Wasserstoff auf Gebieten im Einsatz, wo diese hohe Energiedichte notwendig ist, nicht aber in vielen anderen Anwendungen wie z. B. im Haushalt oder im klassischen Kraftfahrzeug, aufgrund der relativ schlechten Wirkungsgrade.

Neben Dachflächen können sich auch landwirtschaftliche Flächen eignen, um mittels Photovoltaik-Anlagen Strom zu erzeugen.

Wie Photovoltaik in der Freifläche zu beurteilen ist, hängt davon ab, welche Nutzungen vorher stattgefunden haben. Es gibt Tendenzen, eher Grenzertragsböden, die für die Landwirtschaft geringe Erträge liefern, für Freiflächen-Photovoltaik heranzuziehen. Aber diese Böden ermöglichen ganz oft artenreichere Wiesen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Freiflächen-Photovoltaikanlagen zur Verbesserung der Biodiversität gestaltet werden, jedenfalls ist hier auf den Naturschutz besonderer Bedacht zu nehmen.

Es besteht die Möglichkeit einer Kombination von Photovoltaikanlagen und Landwirtschaft, die sogenannte Agri-Photovoltaik. Hier sind interessante Systeme wie z. B. vertikal aufgestellte Solarzäune vorhanden, bei denen die Flächeninanspruchnahme für die Energienutzung selbst auf ca. 3 Prozent der Anlagenfläche beschränkt werden kann und ca. 85 Prozent für den Ackerbau nutzbar bleiben, sodass ca. 12 Prozent als Blühstreifen unter den Modulreihen der Biodiversität vorbehalten werden können. Je nachdem, welche Feldfrüchte angebaut werden, kann entweder eine leichte Ertragsminderung oder teilweise sogar eine Ertragssteigerung in der Nahrungsmittelproduktion eintreten. Bei Sonderkulturen z. B. im Obst- und Weinbau, die zuvor mit Hagelschutznetzen geschützt wurden, können mittlerweile Photovoltaikanlagen zum Hagelschutz eingesetzt werden. 

Sie betonen immer wieder, dass eine bedeutende Stellschraube für das Gelingen der Energiewende ganz entscheidend im Bereich der Siedlungsentwicklung liegt.

So wie es beim Kühlschrank mehr oder weniger energieeffiziente Geräte gibt, so setzen Siedlungsstrukturen den Rahmen für den Energieverbrauch ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Energieeffiziente Raum- und Siedlungsstrukturen zeichnen sich durch einige wenige Gestaltungsprinzipien aus. Es gibt in der Fachwelt schon über viele Jahre hinweg einen deutlichen Konsens, dass es Funktionsmischung braucht - Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholung, Bildung, medizinische Versorgung etc. - und diese nach dem Prinzip der kurzen Wege so organisiert sein soll, dass die Ziele zu Fuß und mit dem Rad erreicht werden können. Diese Raumstrukturen können mit öffentlichem Verkehr gut erschlossen werden, sodass ein großer Teil des Alltags ohne Auto bewältigt werden kann. Die persönliche Lebensqualität wächst, wenn der Alltag mit viel weniger Mobilitätszeit organisiert werden kann. Diese Siedlungsstrukturen bieten auch den Vorteil, dass jede Form von leitungsgebundener Energie, egal ob im Strom- oder Wärmebereich, mit weniger Verlusten und somit wirtschaftlicher betrieben werden kann. Wenn eine bestimmte Mindestdichte gegeben ist, ist auch der Betrieb eines Fernwärmenetzes sinnvoll.

Die Wahlfreiheit in der Energieversorgung hängt davon ab, wo und wie man wohnt. 

Gernot Stöglehner 

Ist das Einfamilienhaus ein Auslaufmodell?

Es geht nicht um das Einfamilienhaus als solches, sondern um das freistehende Einfamilienhaus. Zu einer vorausschauenden Planung gehört, dass in Zukunft Einfamilienhäuser in etwas größerer baulicher Dichte als Reihenhäuser und Doppelhäuser forciert werden. Die Idee eines Hauses, um das man rundherum gehen kann, verdoppelt oder verdreifacht je nach Parzellenkonfiguration den Ressourcenverbrauch für Straße und Kanal. In einem Reihenhausgebiet können wesentlich mehr Haushalte von kürzeren Wegen profitieren, denn in einem solchem verringert sich die Parzellenbreite. Dazu ein einfaches Rechenbeispiel: Selbst wenn alle Haushalte in einem Reihenhaus wohnen wollten - es gibt genug Leute, die lieber in einer Wohnung leben - würde dies ungefähr nur 2/3 des Baulandes in Anspruch nehmen, circa 2.000 Quadratkilometer von den 3.000 Quadratkilometern Bauland, die wir jetzt verwenden. Das wäre vertretbar. Aber die gängige Praxis treibt die Flächeninanspruchnahme in die Höhe und kann weder aus Bodenschutzgründen noch aus Perspektive der Energiewende beibehalten werden. Der Ressourcenverbrauch ist einfach zu groß.

Wie kann eine persönliche Energiewende stattfinden?

Auf drei Dinge kann man Einfluss nehmen: Strom, Heizung, Mobilität – abhängig davon, wo man wohnt und wie man wohnt. In der Stadt ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Gesamtenergiebedarf niedriger ist als am Land. Dafür ist es am Land viel einfacher, auf erneuerbare Energien umzustellen. Die Photovoltaik- oder Solaranlage am Dach ist wesentlich einfacher zu realisieren. In der Stadt können Sie darauf achten, Ökostrom zu beziehen. 

Die Wahlfreiheit ist aber auch sehr oft eingeschränkt. Wenn Sie beispielsweise in Wien wohnen, dann sind Sie vom Energieversorger abhängig, im Wärmebereich gibt es in vielen Gebieten nur Gas oder Fernwärme. Wenn Sie eine Gastherme zuhause haben, haben Sie keine Möglichkeit zum Umstieg auf eine andere Energieform. Neben der Nutzung energieeffizienter Geräte bleibt nur noch die Wahl der Raumtemperatur, um Energie effizient zu nutzen. Bezüglich Mobilität sei bemerkt: Je mehr jeder und jede zu Fuß geht, mit dem Rad fährt, desto gesünder lebt man auch. Wenn dies noch mit öffentlichem Verkehr kombiniert wird, kann die Mobilität energieeffizienter und treibhausgasschonender gestaltet werden. Bezüglich Autofahren ist derzeit das Elektrofahrzeug eine gute Option, weil im Vergleich zu einem Fahrzeug mit Verbrennermotor um mindestens 2/3 weniger Energie benötigt wird, inklusive aller Ladeverluste. 

Wie sehen Sie die Zukunft?

Wir werden die Energiewende mit einer Mischung verschiedener Technologien schaffen. Einige davon sind schon bekannt, andere werden noch zur Marktreife gebracht oder erst erfunden werden, insbesondere im Speicherbereich. Nichtsdestotrotz können wir mit den bekannten und marktreifen Technologien in der Energiewende zügig voranschreiten. Es gibt zwei Strategien, die jeder bzw. jede für sich selbst und die Gesellschaft als Ganzes mit Unterstützung des Staates forcieren muss. Energie einsparen ist immer richtig. Jetzt erneuerbare Energien in erster Linie im Strombereich auszubauen, ist auch langfristig richtig, weil absolut absehbar ist, dass sich der Strombedarf erhöhen wird. Das Rückgrat der künftigen erneuerbaren Energieversorgung ist die Elektrizität.

Wir sind nicht mit einer Unendlichkeit von Ressourcen, aus der wir auswählen können, gesegnet, sondern es gibt einige wenige Energieformen, die in Zukunft in Abhängigkeit der regionalen Bedingungen in unterschiedlichen Verhältnissen zueinander genutzt werden können – insbesondere Wind, Photovoltaik, die bestehende Wasserkraft und regional unterschiedlich weitere Energiequellen wie Abwärme, Biomasse-Reststoffe oder Geothermie. Damit können wir nicht nur unser Klima schützen, sondern auch eine sichere, resiliente und nachhaltige Energieversorgung als Basis für eine nachhaltige gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung aufbauen, die regional Einkommen schafft.

Autor:
  • Porträtfoto von Markus Langer
    Markus A. Langer
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