Allerseelen: Sinnsuche im Lebensherbst

Allerseelen
Ausgabe Nr. 43
  • Soziales
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Allerseelen: Nach dem Tod eines Elternteils oder nahen Angehörigen stellen sich für viele Menschen existenzielle Fragen.
Allerseelen: Nach dem Tod eines Elternteils oder nahen Angehörigen stellen sich für viele Menschen existenzielle Fragen. ©istock
Antonia Keßelring ist Leiterin der Telefonseelsorge in der Erzdiözese Wien und kennt sich mit Fragen rund um Tod und Trauer aus.
Antonia Keßelring ist Leiterin der Telefonseelsorge in der Erzdiözese Wien und kennt sich mit Fragen rund um Tod und Trauer aus. ©Telefonseelsorge/Erzdiözese Wien

Wir wissen alle, dass unsere Eltern einmal sterben. Aber egal, wie alt man ist, wenn es passiert: Der Tod der eigenen Eltern kommt als Schock und bringt zum Nachdenken – auch über die eigene Sterblichkeit.

Wenn es zu Allerseelen am 2. November dunkel wird am Friedhof, leuchten sie wie Sterne am Nachthimmel: Die vielen Kerzen, die Angehörige, ihren Verstorbenen an die Gräber stellen. Eine kleine Flamme als Erinnerung an die Wärme und Liebe, die man für diesen Menschen empfunden hat und empfindet.

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Allerseelen: Am Grab der Eltern

So mancher steht am Grab seiner kürzlich verstorbenen Eltern. Wenn die eigenen Eltern sterben, dann ist die eigene Kindheit endgültig vorbei. Auch wenn man das als Erwachsener schon lange weiß, so richtig begreift man es dann erst. Niemand spricht mehr zu uns wie es Mama oder Papa getan haben – auch als wir schon erwachsen waren. Wir sind niemandes Kind mehr. Und die eigene Sterblichkeit wird einem schmerzlich bewusst.

Existentielle Fragen nach dem Tod der Eltern

Dann schießen einen Fragen in den Kopf wie: Ist meine Mutter, mein Vater jetzt bei Gott? Was kommt nach dem Tod? Hatte meine Mutter, mein Vater einen schmerzhaften Tod? Was ist der Sinn ihres Lebens gewesen? Was ist der Sinn meines Lebens? Wie fühlt er sich an – der Übergang vom Leben zum Tod?

Seelsorge hilft bei Fragen zum Tod

Die Seelsorge ist für Trauernde in dieser schweren Zeit und für diese Fragen da. „In letzter Zeit haben wir immer wieder Anrufe von Menschen, die in einer akuten Trauersituation oder in einem längeren Trauerprozess sind. In meinem letzten Nachtdienst hat eine Frau direkt am Heimweg vom Krankenhaus angerufen. Sie hatte ihre Mutter im Krankenhaus verabschiedet, die dort verstorben ist. Und am Heimweg hat sie sie die Seelsorge angerufen“, erzählt Antonia Keßelring, Leiterin der Leiterin der Telefonseelsorge.

Sterblichkeit und Trauer

Zurzeit verzeichne die Seelsorge rund 50 Erstgespräche, obwohl die Anfrage laut Keßelring zu Allerheiligen nicht besonders gestiegen ist. „Vor Weihnachten und Sommer ist der Anstieg viel stärker“, so Keßelring. Das Personen, die einen nahen Angehörigen verloren haben, auch oft an die eigene Sterblichkeit denken, kennt Keßelring: „In vielen Gesprächen, bei denen es um Trauer geht, ist es ein Aspekt, dass das Leben so fragil geworden ist und die Gewissheiten weggefallen sind. Die Sicherheit der Welt ist verschwunden. Für viele Menschen ist der Tod der eigenen Eltern das erste Mal, wo sie einen Verstorbenen sehen.“

Nach dem Tod eines Angehörigen: „Wegen Umbau geschlossen“

Es gibt zahlreiche Ängste und Sorgen um die menschliche Existenz, die sich auf das Ende des Lebens beziehen, schreibt der Linzer Psychotherapeut Hans Morschitzky in seinem Buch „Die Angst vor dem Tod“. Die Ängste rund um den Tod umfassen verschiedene Dimensionen laut Morschitzky: Die Angst vor dem eigenen Tod (dem Nicht-mehr-existent-Seien), dem Tod einer Bezugsperson, die Furcht vor dem eigenen Sterben oder aber auch nach der Frage, was kommt danach? Was tun, wenn einem die Trauer und Angst übermannt? Die Leiterin der Seelsorge weiß: „Wir erteilen generell keine Ratschläge am Telefon. Da soll erstmal Raum sein für alles, was hier so aufpoppt und was in diesem Leben ist. Wir Menschen sind dafür gemacht, dass wir mit Trauer – mit Verlusten leben lernen. Das dauert. Einer der wichtigsten Sachen ist: Lassen Sie sich Zeit. Lassen Sie sich von niemanden vorschreiben, wie sie trauern sollen, wann die Trauer abgeschlossen sein soll. Hängen sie innerlich ein Schild vor sich „wegen Umbau geschlossen“. Die Trauer um einen wichtigen Menschen lässt sich nicht in drei Tagen oder drei Monaten bewältigen – es braucht einen ganzen Umbau und das braucht Zeit gute Menschen und vielleicht auch Trauerbegleitung.

Memento Mori: Angst vor dem eigenen Tod

Hans Morschitzky zitiert C. G. Jung, für den die Auseinandersetzung mit dem Tod und der Todesangst „eine notwenige Entwicklungsaufgabe des Menschen im Rahmen des Individuationsprozesses, dem lebenslangen Wachstums- und Reifungsprozess des Menschen“ ist. In der Auseinandersetzung mit der Angst vor dem Tod, die in so einem Trauerprozess aufkommen kann, braucht es Zeit, weiß auch Keßelring: „Auch die Angst vor der eigenen Sterblichkeit ist ein Prozess. Man muss über die Zeit eine neue Balance finden in einer Welt, in der es Tod gibt. Bei solchen existenziellen Fragen greift Rilkes Satz: „Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.““

 

Quellen: Hans Morschitzky: Die Angst vor dem Tod. Existenzielle Ängste wahrnehmen und als Chance nutzen. Ostfildern: Patmos Verlag. Erscheinungsdatum: April 2021. 192 Seiten.

Antonia Keßelring ist Leiterin der Telefonseelsorge in der Erzdiözese Wien und kennt sich mit Fragen rund um Tod und Trauer aus.

Zur Person:

Mag. Antonia Keßelring ist Leiterin der Telefonseelsorge und Abteilungsleiterin Krisenseelsorge.

Autor:
  • Cornelia Grotte
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