Wasser predigen und Wein trinken?

Vorurteile gegen die Kirche
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Wasser wird in Glas eingeschenkt
Wasser wird in Glas eingeschenkt ©Carsten Rehder / dpa / picturedesk.com
Mann schenkt Weißwein in Glas ein
Mann schenkt Weißwein in Glas ein ©Gerald Matzka / dpa / picturedesk.com

Unserer Kirche wird bisweilen vorgehalten, dass sie die Heuchelei pflegt. Ist die (moralische) Latte so hoch gelegt, dass nur wenige sie überspringen können und viele andere scheitern müssen? „Wasser predigen und Wein trinken?“ – das ist hier die Frage. Und was meint die Rede von der „glücklichen Schuld“ in der Osternacht?

Heute stellen wir mit einer Expertin und einem Experten die Frage „Ist unsere Kirche zu heuchlerisch?“ Frei nach dem Spruch „Wassere predigen und Wein trinken“. Univ. Prof. Regina Polak lehrt Pastoraltheologie an der Universität Wien. Univ. Prof. Matthias Beck lehrt Moraltheologie an der Universität Wien. Er ist Priester.

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Die Kirche soll Wasser predigen und selbst Wein trinken … Vorurteil oder Realität?

Regina Polak: Das ist der Vorwurf der Heuchelei. Das Problem an ihr besteht darin, dass ein Mensch, der heuchelt, dies oft gar nicht selbst bemerkt, weil er oder sie die eigenen Schönfärbereien, manchmal sogar Lügen, selbst zu glauben begonnen hat. Er, sie blendet dann aus, wie fehlerhaft er, sie selbst ist. Nun ist es menschlich normal, dass man selbst immer hinter den eigenen Ansprüchen zurückbleibt. Dies jemandem vorzuwerfen, ist moralischer Rigorismus. Aber wenn man selbst vergisst, wie fehlerhaft man ist, und die Fehler nur mehr bei den anderen sieht, dann beginnt das Problem. In der Kirche sind wir vermutlich besonders gefährdet, in diese Falle der Heuchelei zu tappen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass wir hohe Ansprüche haben, und zugleich so gut wie keine öffentliche Kultur, in der man eigene Fehler oder gar Sünden beim Namen nennen kann, ohne gleich mit Ängsten vor sozialem Ausschluss rechnen zu müssen. Deshalb muss man dann besonders „brav“ sein und darf sich keine Blöße geben.

Matthias Beck: Ich möchte doch vielen Menschen unterstellen, dass sie sich bemühen, dem Anspruch des Christentums und der Botschaft Jesu Christi zu entsprechen. Die Latte hängt sehr hoch. Dass es da nicht immer gelingt, alles richtig zu machen, weiß jeder, der ein bisschen Lebenserfahrung hat und bereit ist, sich selbst ehrlich in die Augen zu schauen. Und wenn man das tut, wird man ganz bescheiden und demütig. So soll nichts beschönigt werden, was schiefläuft, aber es wäre gut, wenn wir erkennen würden, dass wir alle im selben Boot sitzen und auf das Erbarmen Gottes angewiesen sind: So beten wir es zu Beginn jeder Messe: Herr, erbarme Dich unser. Gott will keinen perfekten Menschen, den gibt es nicht. Perfektion kann zur Härte führen, oft nicht zur Barmherzigkeit. Barmherzig wird man, wenn man die eigene Fehlbarkeit schmerzlich erlebt. Dann hört man auf, mit dem Finger auf andere zu zeigen und den Stab über andere zu brechen. Gott will, dass der Mensch seine Fehler erkennt und umkehrt. Was ihn auf die Palme bringt, ist der selbstgerechte Pharisäer, der meint, der Umkehr nicht zu bedürfen.

Ist gar der Anspruch des Christentums vielleicht zu hoch für die Menschen?

Regina Polak: Nein, der Anspruch als solcher ist nicht zu hoch. Entscheidend ist, wie und in welchem Horizont man diesen Anspruch lebt. In unserer Kultur gibt es eine lange Tradition, aus Moral so eine Art Leistungssport zu machen, die zu vielen Menschen das Leben vergällt hat – eine Art Karotte vor der Nase, die niemand je erreichen kann. Aber christlich gesehen, leben wir auch moralisch in einem eschatologischen Horizont: Das heißt, wir wissen, dass wir immer wieder scheitern werden, dass wir immer wieder umkehren müssen. Aber davor müssen wir uns nicht fürchten: In der Taufe ist uns zugesagt, dass uns unsere Sünden in Christus vergeben sind. Wir können also lernen und üben, unseren Ansprüchen immer ein wenig mehr gerecht zu werden. Das ist kein Freibrief für moralische Beliebigkeit und Willkür, aber eine heilende Zusage, dass wir ohne Angst unsere Sünden benennen dürfen, bereuen, aufstehen und weitergehen können. Auch deshalb müssen wir unsere Ansprüche nicht senken. Wir sind geliebt, vor aller Leistung und trotz aller Schuld.

Matthias Beck: Der Anspruch ist sehr hoch. Aber er wird dem Menschen zugemutet und es wird ihm auch zugetraut, dass er es – mit Gottes Hilfe – umsetzen kann. Das Wichtigste ist das Gottesverhältnis des Menschen. Nur aus einer engen Gottesanbindung kann man die Forderungen Jesu erfüllen. Es geht vor allem um die Arbeit an den inneren Haltungen: Den Alten wurde gesagt, ihr sollt nicht töten, ich aber sage euch, wer dem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen (Mt 5 21). Das heißt nicht, dass man nicht auch mal zornig sein darf. Hier geht es um das dauerhafte Zürnen. Man kann jemanden auch seelisch töten und umbringen. Also es geht um die Verbesserungen dieser inneren Haltungen (Tugenden) oder im negativen Fall, um das Arbeiten an den Untugenden und Laster (später Wurzelsünden genannt). Thomas von Aquin sagte, dass die geistigen Sünden viel zerstörerischer sein können als die leiblichen. Daher heißt es: Wir haben gesündigt in Gedanken, Worten und Werken. Christsein heißt bewusst leben.

Worauf kommt es dann überhaupt an?

Regina Polak: Papst Franziskus hat das in seiner Barmherzigkeits-Bulle wunderbar beschrieben. Erst der Raum einer großen Liebe, einer Barmherzigkeit, macht es möglich, dass man sich auch der Sünde stellt. Ohne diesen Raum gibt es nur Angst, die zu Lüge und Heuchelei verführt. Die Seelsorge braucht also solche Räume – Räume, in denen Menschen diese Erfahrung machen, in denen sie gestärkt werden. Nur Menschen mit Selbstwert und dem Gefühl für die eigene Würde können sich in Freiheit und ohne Angst mit ethischen Ansprüchen auseinandersetzen. Wer das vielleicht zu Hause nicht erfahren konnte, dem bietet der christliche Glaube diese Erfahrung: dass das Scheitern am ethischen Anspruch nicht das letzte Wort über meine Würde als Mensch ist. Vielmehr wird mir Vergebung zugesagt, kann ich Versöhnung erfahren. Das setzt ethische Überzeugungen voraus und auch die Bereitschaft, sich mit eigener Schuld, eigener Sünde zu befassen. Dies ist nicht einfach, auch dafür braucht man Kraft, Selbstwert. Vor allem aber braucht man Gemeinschaften und gute seelsorgliche Begleiterinnen und Begleiter, die um diese Zusammenhänge wissen. Solche Personen, solche Räume, eine solche Kultur brauchen wir viel mehr. Die Beichtstühle sind ja ziemlich leer, hier spiegelt sich dieser Bedarf.

Matthias Beck: Es kommt darauf an – so komisch das klingt – das Leben täglich neu einzuüben. Üben heiß im Griechischen Askein und daher kommt das Wort „Askese“. Das heißt nicht: nichts essen, sondern üben. Leben üben heißt, sich an denjenigen anzubinden, der von sich sagt: Ich bin das Leben. Üben heißt, sich mehrmals am Tag ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um über das eigene Leben nachzudenken, sich z.B mittags und abends ein paar Minuten hinzusetzen und über die Begegnungen, Gespräche, Ereignisse am Vormittag oder Nachmittag zu reflektieren. Warum war das Gespräch gut, warum ist es misslungen, warum war ich so zornig, etc. Re-flectere heißt: sich nach innen beugen. Das kann Denken heißen oder Beten. Ignatius von Loyola nennt dieses tägliche Innehalten, das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Dabei soll es nicht um eine Selbstzerfleischung gehen, sondern um ein besseres Verständnis des eigenen Lebens und der inneren Haltungen und Handlungen. Bei den Handlungen wie: Ich habe gelogen, ich habe gestohlen, würde Jesus sofort fragen: Ja, warum? Was steckt dahinter? Was sind die tieferen Gründe? Der Christ ist aufgefordert, zu den tieferen Gründen durchzustoßen.

In der Osternacht gibt es im Osterlob, im Exsultet, die Rede von der „glücklichen Schuld“. Was ist damit gemeint?

Regina Polak: Zuerst bedarf es, um dieses Wort zu verstehen, der Erfahrung der Befreiung, der Freiheit – von inneren und äußeren Zwängen. Die Zehn Gebote werden ja auch mit der Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten eröffnet. Ohne diese Befreiungserfahrung können sie ihre Kraft nicht entfalten, weil es dann nur ums Gehorchen geht, nicht um das, was ihr innerer Sinn ist: Unsere Beziehungen, zu Gott, zu den Mitmenschen in Freiheit zu schützen. Aber dazu muss ich eben zuerst einmal erfahren haben, was Freiheit ist. Die Rede von der „Felix Culpa“, der „glücklichen Schuld“ im Osterlob weiß um diese Zusammenhänge. Wer um seine Sünde weiß, wer seine Abgründe kennt, wem vergeben worden ist und wer Versöhnung erfahren hat, weiß, welch großen Erlöser wir in Christus gefunden haben, der uns vor der letzten großen Angst befreit hat, der Angst vor dem ewigen Tod. Diese Angst hindert uns ja nicht selten an einem vollen Leben, zu dem auch Fehler, Schuld und Sünde gehören.

Matthias Beck: Dieser Satz ist sehr missverständlich. Er bezieht sich zunächst auf die Geschichte. Die Schuld Adams wird als „glücklich“ beschrieben, da sie letztlich den großartigen Erlöser Jesus Christus hervorgebracht hat. Das kann natürlich für das persönliche Leben zynisch klingen, nach dem Motto: Du musst viel sündigen, damit du dann auch gut erlöst werden kannst.

Das kann es nicht heißen. Vielleicht so: Wenn man Fehler gemacht hat, diese erkennt, bereut, beichtet und von Gott losgesprochen wird, kann das zu einer tieferen Erkenntnis über das eigene Leben führen und zu tieferen Grundhaltungen wie Dankbarkeit, Barmherzigkeit, Demut, Liebe. Das könnte der „Gewinn“ der Schuld sein.

Autor:
  • Michael Ausserer
  • Stefan Kronthaler
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