„Und Herr Bischof, glauben Sie an Gott?“

85. Geburtstag von Weihbischof Helmut Krätzl
Ausgabe Nr. 42
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Stefan Hauser und Helmut Krätzl
Weihbischof Helmut Krätzl im Gespräch mit Stefan Hauser in seiner Wohnung am Stephansplatz. ©Markus A. Langer
Stefan Hauser und Helmut Krätzl
Weihbischof Krätzl blättert in seinem Buch "Meine Kirche im Licht der Päpste". ©Markus A. Langer

Mit fünf Jahren geht er zur Frühkommunion, mit 18 ins Priesterseminar, seit 60 Jahren ist er Priester und seit vier Jahrzehnten Weihbischof. Helmut Krätzl hat die Geschichte und Geschicke der Erzdiözese Wien mitgeprägt.

Von seiner Wohnung blickt er auf den Stephansdom. Ein prägender Ort Zeit seines Lebens. Die erste Freude an der Kirche und Liturgie hat Helmut Krätzl in jungen Jahren in Wien-St. Ulrich mitbekommen. „Schon vor dem Kindergarten ging es zum Ministrieren“, erinnert er sich. Zwei Schwestern und zwei Brüder wachsen in ärmlichen Verhältnissen in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs auf. Beide Brüder werden Priester, Helmut Krätzl dann Zeremoniär beim Wiener Erzbischof Kardinal Franz König. Später ist Krätzl als Stenograph im Petersdom persönlicher Zeitzeuge des Zweiten Vatikanischen Konzils, das wesentliche Ziele für die Kirche setzt. Vieles davon sei noch nicht eingelöst, mahnt er immer wieder. Weihbischof Krätzl hat sich nie ein Blatt vor den Mund genommen, beim Einmahnen der Entwicklungen in der Kirche. Das Erscheinen  seines Buches „Im Sprung gehemmt“ verschaffte ihm eine Vorladung nach Rom. Sein neues Buch  heißt „Meine Kirche im Licht der Päpste – Von Pius XII. bis Franziskus“.

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Herr Weihbischof, wie sind Sie zum Zweiten Vatikanischen Konzil gekommen?

Weihbischof Helmut Krätzl: Ein schwerer Unglücksfall wurde für mich zum Glücksfall. Bei der Reise mit Kardinal König zum Begräbnis des Zagreber Erzbischofs Stepinac hatten wir einen Verkehrsunfall, bei dem unser Chauffeur verstarb. Ich war monatelang rekonvaleszent. Kardinal König meinte, mit Krücken kann ich ihm als Zeremoniär schwer zur Verfügung stehen. Daher schickte er mich für das Studium des Kirchenrechts nach Rom. Zeitgleich liefen die Vorbereitungen für das Konzil, man suchte Mitarbeiter für lateinische Stenographie. So war ich dann beim Konzil dabei. Gewohnt habe ich im Priesterkolleg Anima, wo auch der junge Joseph Ratzinger wohnte.

Sie haben jahrzehntelang Kardinal Franz König begleitet. Sind Sie beide auch Freunde geworden?

Vor allem nach seinem 80. Lebensjahr. Er war immer korrekt zu mir. Aber es war die Zeit damals noch nicht so wie heute mit dem vielen „Du“ sagen. Wir waren immer per „Sie“ miteinander. Aber als er dann in Pension war, waren wir dann doch per „Du“.

Nach dem Erscheinen Ihres Buches „Im Sprung gehemmt“ mussten Sie in Rom antreten, wie war das?

Ich bin mit Weihbischof Ludwig Schwarz, der sehr gut italienisch konnte, und Kardinal Christoph Schönborn nach Rom gereist. Das Gespräch mit dem späteren Papst, Kardinal Joseph Ratzinger, damals Präfekt der Glaubenskongregation, drehte sich zu Beginn gar nicht um das Buch. Ich habe dann gesagt, wir können ruhig offen reden. Dann hat er gesagt, ja natürlich, wir sind ja gute alte Freunde. Ratzinger erinnerte sich natürlich an unsere gemeinsame Zeit während des Konzils. Er hat mich dann ein bisschen gerügt wegen meiner Kritik am Weltkatechismus und angekündigt, einen Vortrag zu schicken, den er dazu gehalten hat. Ich habe mich bedankt, Ostern darauf erhielt ich eine handgeschriebene Karte, auf der er schrieb: „Eigentlich wollen wir beide ja das Gleiche, wenn auch auf andere Weise, mit lieben Grüßen, Ihr Joseph Ratzinger.“

Wie geht es Ihnen in der Kirche der Gegenwart?

Mir geht es in der Kirche immer gut. Ich habe in einem meiner Bücher geschrieben, dass ich gerade unter den sieben Päpsten, die ich miterlebt habe, gelernt habe, dass die Kirche für mich immer viel mehr ist, als sie momentan erscheint. Natürlich spielt ein Papst eine ungeheuer große Rolle. Aber die Kirche ist für mich in ihrem Wesen viel mehr, das tröstet mich und treibt mich auch an. Mir kann die Liebe zur Kirche niemand nehmen.

Sie sind seit 60 Jahren Priester, fast 40 Jahre davon Bischof. Ist es schwierig den direkten Kontakt zu den Gläubigen zu halten?

Im Gegenteil, die Nähe wird immer größer. Ich visitiere seit 40 Jahren in der Erzdiözese Wien, war in fast allen Dekanaten. Eine Visitation hat ja den Sinn, den Leuten nahe zu kommen und ich sehe in der Begegnung mit den Leuten die Hauptaufgabe. Was mir auch geholfen hat, sind die unzähligen Firmungen. Ich schätze, dass ich 30.000 Jugendliche gefirmt habe. Mein Patent seit etlichen Jahren ist, dass ich mir von den Firmlingen immer Briefe schreiben lasse. Das sind Tausende handgeschriebene Briefe. Ich glaube, das ist das einzige Mal, wo junge Leute heutzutage keine SMS, sondern noch einen Brief schreiben. Das bringt mir natürlich die Entwicklung der Jugend sehr nahe.

Was schreiben Ihnen die Jugendlichen?

Ein Bub im achten Wiener Gemeindebezirk hat geschrieben: „Ich freue mich so auf die Firmung. Ob es Gott gibt, weiß ich nicht. Ich glaub’s eigentlich nicht.“ Dann schreibt er ein Postskriptum: „Und Sie Herr Bischof, glauben Sie an Gott? Und wenn ja, warum? "Diese Briefe zitiere ich immer bei der Firmung. In der Predigt habe ich dann gesagt, der schreibt eine ernste Frage, sucht nach Gott in einer neuen Weise, das ist so wichtig. Jetzt erzähle ich euch die Geschichte meines Glaubens. So habe ich immer einen Anknüpfungspunkt zu den Firmlingen.

Welche Rolle spielt die Kirche für die Menschen heute?

Ich sage oft zu den Menschen bei den Visitationen in den Pfarren: Ihr müsst euch um die Leute außerhalb der Kirche kümmern. Das ist auch ganz im Sinn von Papst Franziskus, der sagt, ihr müsst bis zu den existenziellen Grenzen gehen. Viele Leute treten aus der Kirche aus. Daher sage ich, geht ihnen nach, nicht im Sinne einer Rüge, oder billigen Missionierens, sondern fragt sie, was hat euch eigentlich gestört? Und zweitens, gründet Foren, offene Gespräche, wo Leute kommen können, die nichts mit der Kirche zu tun haben, sich aber Gedanken  darüber machen: Was ist der Mensch, woher kommt er, wohin geht er? Bis zur Thematik des fürchterlichen Terrorismus. Das drängt absolut nach Antworten.

Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Normalerweise feiere ich um 7:15 Uhr die Kapitelmesse im Stephansdom mit. Sonst ist der Tag gefüllt von Begegnungen und Einladungen, Vorträgen, Visitationen, Firmungen und zwischendurch schreibe ich auch Bücher.

Wann finden Sie dazu die Zeit?

Das weiß ich selber nicht genau, aber ich bin stolz darauf, dass ich nicht nur selber inhaltlich schreibe, sondern auch technisch alles mache. Alle sind von mir getippt worden.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem weiteren Leben?

Da ich jetzt schon so alt bin, muss ich vorsichtig sein. Aber ich würde gerne noch ein bisschen erleben, wie sich Papst Franziskus weiter entwickelt beziehungsweise durchsetzt.

Und was wünschen Sie sich persönlich?

Das Gehen bereitet mir schon Schwierigkeiten, das ist eine Alterserscheinung. Ich werde aber sehr viel eingeladen. Solange ich diese Kraft habe, werde ich sie nützen, ob 85 oder darüber.                                  

Autor:
  • Stefan Hauser
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