Pax Christi: Rohstoffpolitik und Globaler Wandel

Neue Generalsekretärin Romero
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Steinkohlebergwerk Kolumbien
El Cerrejón ist ein Steinkohlenwerk im nördlichen Teil Kolumbiens. Die Mine erstreckt sich über insgesamt 69.000 Hektar und ist damit der größte Steinkohletagbau Lateinamerikas. Die Menschen, die in den Dörfern rund um die Mine leben, leiden unter Atemwegserkrankungen und massiven Hautausschlägen. Bagger und Maschinen fressen sich immer weiter ins Land hinein und nähern sich den indigenen Siedlungen. ©Wiki Commons
Martha Ines Romero
Martha Inés Romero, die neue Generalsekretärin von Pax Christi International, möchte sich ganz nach dem Vorbild Jesu auch für die Würde der Ausgegrenzten einsetzen. ©Markus A. Langer
Kaffee statt Koka
Bauern, die früher Koka angebaut haben, bekommen Ratschläge, wie man Kaffee kultiviert. ©UN Photo/J. Sailas
Waffenverstecke
UN-Mission in Kolumbien hebt Waffenverstecke der FARC aus. ©UN Photo/Hector Latorre

Die Herausforderungen der Rohstoffindustrie in Lateinamerika durch die Linse von Martha Inés Romero: Ein Ruf nach dringenden globalen Wirtschaftsreformen.

Seit Jänner 2023 ist die Kolumbianerin Martha Inés Romero Generalsekretärin von Pax Christi International, der internationalen katholischen Friedensbewegung. Sie berichtet aus ihrer langjährigen Erfahrung: Die Rohstoffindustrie in Lateinamerika bringt viele Herausforderungen mit sich, wie die Eskalation von Gewalt und die Umweltzerstörung. Deshalb sind Verbesserungen im globalen Wirtschaftssystem dringend notwendig.

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Pax Christi International weist immer wieder auf die ungerechte Situation in Lateinamerika und in der Karibik hin, die im 15. Jahrhundert ihren Anfang nahm: Die Kolonien wurden auf der Suche nach Rohstoffen ausgeplündert und später in Nationen umgewandelt, die nun von multinationalen Konzernen für den gleichen Zweck ausgebeutet werden. Besteht eine reelle Chance, eine Alternative zum derzeitigen, höchst ungleichen globalen Wirtschaftsmodell aufzubauen?

Martha Inés Romero: Den wichtigsten Weg hat uns eigentlich Papst Franziskus in seiner Enzyklika ‚Laudato si’‘ schon vorgegeben. Nämlich, dass wir ein nachhaltiges Modell aufbauen müssen. Im Zentrum stehen die Würde des Menschen und die Würde des Planeten. Das ist eng miteinander verbunden. Das ist gleichsam der Horizont, den wir anstreben. Wir halten es für wichtig, auf einen verbindlichen Vertrag über Wirtschaft und Menschenrechte hinzuarbeiten. Wir haben die EU-Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht in der gesamten Kette von der Produktion bis zum Konsum, die unsere Gemeinschaften betrifft, sehr unterstützt. Und wir haben einen kritischen Blick auf das Gesetz, das  herausgekommen ist. Erstens fehlt der Menschenrechtsansatz. Zweitens sollte es nicht nur für Unternehmen gelten, die dem europäischen Recht unterliegen, sondern auch ihre Tochtergesellschaften und ihre Niederlassungen in unseren lateinamerikanischen Ländern sollten rechtlichen Mechanismen unterworfen sind. Das würde jedes Element der Korruption oder der Verletzung von Menschenrechten bei unseren Regierungen verhindern und Grundsätze der Transparenz garantieren. Wir stehen dem Critical Raw Material Act der EU sehr kritisch gegenüber, weil wir der Meinung sind, dass es den Bedürfnissen der lokalen Gemeinschaften nicht vollständig gerecht wird. Wir sehen hier, dass die Unternehmen sehr stark zugunsten ihrer eigenen privaten Interessen lobbyiert haben, aber nicht immer zugunsten der heimiscehn Bevölkerung.

Ein wichtiger Weg, den Rechten dieser Gemeinschaften, von denen viele indigen sind, Gehör zu verschaffen, ist die Ratifizierung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation. Österreich beispielsweise hat diese nicht ratifiziert. Wir sind der Meinung, dass eine Energiewende, wenn sie gefördert wird, gerecht und demokratisch sein und die Menschenrechte respektieren muss. Es gibt bereits mindestens drei Untersuchungen zu Lithium. Lateinamerika verfügt über fast 40 Prozent der weltweiten Lithiumreserven, aber so wie unsere Regierungen das sehen, profitieren davon nur die Konzerne. Und das wäre weiterhin eine Art Neokolonisierung, die sich auf unsere lokalen Gemeinschaften auswirken würde. Was wir machen müssen, ist die Fähigkeiten der Gemeinden zu stärken, damit sie ihre Rechte einfordern können und sich hier dagegen stemmen können.

Sie haben eine jahrezehntelange Erfahrung in Lateinamerika. Können Sie uns Erfolgsgeschichten Ihrer Arbeit nennen?

In Mexiko gelang es der indigenen Gemeinschaft der Zoque in Chiapas, ein Kohlenwasserstoff-Pipeline-Projekt, das durch ihr Gebiet führte, zu stoppen, weil die Gemeinschaft nicht konsultiert worden war, weil es ihr Leben, ihre Kosmovision und ihr Ökosystem beeinträchtigte. In Peru, im Hochland von Puno, hat ein kanadisches Unternehmen den Schaden, den es durch die Kontamination verursacht hat, anerkannt und einen Sanierungsplan aufgestellt. Ich glaube, der Plan hat eine Laufzeit von zehn Jahren, und wir wissen, dass es im Bergbau sehr schwierig ist, die Schäden zu beseitiigen. Aber dies ist ein Schritt nach vorn, um den Fehler zu erkennen und gemeinsam mit den Gemeinden zu handeln. In Chile, in Valparaíso, konzentrieren sich private und staatliche chilenische Unternehmen, die für ihre Geschäfte alles verschmutzen. Wir konnten ein Bergbauzentrum schließen, das die Kinder eines benachbarten Kindergartens verseuchte. Wichtig sind Beweise, um unsere politische Lobbyarbeit tun zu können. In diesem Fall waren es die Blutproben von den Kindern, die über den zulässigen Wert von Quecksilber und Arsen lagen.

Ein Projekt von Pax Christi ist "Catholic Nonviolence Initiative". Was kann man sich darunter vorstellen?

Aktive Gewaltlosigkeit ist für uns der Weg, die Liebe Jesu in die Tat umzusetzen. Jesus war gewaltfrei und Jesus hat sich für die Würde auch der Ausgegrenzten eingesetzt. Für uns ist Gewaltlosigkeit aktiv, erstens, weil sie aus dem Glauben heraus gelebte Bürgerschaft ist. Zweitens ist sie eine Spiritualität, die es uns ermöglicht, aus Respekt vor der Würde der Menschen, aber auch aus der Tat des Glaubens heraus eine Verbindung zu anderen Religionen herzustellen. Drittens denken wir, dass es eine Lebensweise ist. Wir gehen davon aus, dass aktive Gewaltlosigkeit zum Beispiel in der integralen Ökologie bedeutet, dass ich mich entscheide, meine Lebensweise zu ändern, die Art und Weise, wie ich nachhaltig mit dem Planeten umgehe. Ich beschließe, die Art und Weise, wie ich kommuniziere, so zu ändern, dass ich mit meiner Sprache nicht gewalttätig bin. Aber es ist auch eine Methode für soziale und politische Transformation. Ich entscheide mich für Gewaltlosigkeit, die Ungerechtigkeit und Gewalt bekämpft.

In dieser Zeit, in der so viel Gewalt herrscht, sehen wir selbst in der Ukraine, dass es gewaltfreie Handlungsmöglichkeiten gibt. Einige haben mit Diplomatie zu tun, andere mit einem würdevollen Umgang mit dem Gegner und wieder andere mit kleinen oder großen Bürgerboykotten. Aber auch in Russland haben unsere Gemeinschaften Mitstreiter. In Russland gibt es trotz der Repressionen gewaltfreie Methoden, um einen Krieg zu beenden. Für uns ist aktive Gewaltlosigkeit ein sehr mächtiges Instrument für den sozialen Wandel. Und außerdem haben wir als Katholiken einen wichtigen ethischen und moralischen Rahmen, nicht wahr? Papst Franziskus hat es gegenüber dem Moskauer Patriachen Kyrill sehr deutlich gesagt: “Es gibt keine gerechten Kriege mehr.” Und er sagte es sehr deutlich in seinem Grußwort an die Diplomaten vom Jänner 2017: “Nein, die katholische Kirche kann nicht weiter behaupten, dass es gerechte Kriege gibt. Kein Krieg ist gerecht, weil er die Schwächsten trifft. Kein Krieg ist gerecht, weil er die Militärindustrie fördert, nicht nur die Atomindustrie, sondern auch die Killerroboter und die Kleinwaffen.”

Martha Inés Romero über die Arbeit von Pax Christi in Lateinamerika (in englischer Sprache)

Ein Thema, das stark Europa betrifft: Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine steht die Friedensethik auf dem Prüfstand. Denn wie kann man sich für Frieden und Versöhnung einsetzen, wenn der Aggressor daran kein Interesse hat?

Man kann und muss auf eine friedliche Weise handeln, denn wenn wir mit Gewalt reagieren, wie es die ukrainische Regierung tut, eskaliert der Konflikt weiter und erreicht ein Niveau, das die Menschheit selbst gefährden kann, nicht nur Europa. Zweitens erweist sich die Gewaltlosigkeit als eine störende Kraft. Aktive Gewaltlosigkeit ist eine kollektive Kraft, die zum Handeln bewegt. Es gibt viele Beispiele für kollektive gewaltfreie Aktionen aus dem 20. Jahrhundert, wie der Kampf gegen die Rassendiskriminierung in den 1960er Jahren im Süden der USA. Oder wie der Kampf für die Inhaftierung von Slobodan Milosevic. Es war ein gewaltfreier, kollektiver Kampf, der von der Jugend ausging. Junge Menschen sind die am meisten Entmachteten in einer Gesellschaft. Sie sind junge Menschen, die sich für erwachsen halten, aber keine wirtschaftliche Autonomie haben. Aber sie waren es, die die Politiker unter Druck gesetzt haben, im Balkankrieg gemeinsam zu handeln. Die aktive Gewaltlosigkeit wird von den Medien weniger beachtet, die täglichen Bomben sind bekannter als die täglichen gewaltfreien Aktionen. Und ich denke, dass wir als Katholiken, als Menschen des Glaubens, diese gewaltfreien Aktionen sichtbarer machen müssen.

Blicken wir auf Ihr Heimatland Kolumbien. Wie sieht dort gerade die Situation aus? Und ist es noch immer ein langer Weg zum wahren Frieden?

Das Friedensabkommen mit der größten und ältesten Guerillaorganisation der südlichen Hemisphäre – Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) – war sehr wichtig. Es enthält ein Kapitel über ethnische Bevölkerungsgruppen, ethnische Minderheiten, es enthält ein Kapitel über Gender und Gewalt während des Konflikts. Die große Herausforderung ist die Umsetzung. Ein Friedensabkommen bedeutet noch keinen Frieden. Ein Friedensabkommen setzt voraus, dass die strukturellen Ursachen, die den Konflikten zugrunde liegen, angegangen werden, und dies wurde in den letzten vier Jahren nicht ausreichend umgesetzt. Jetzt haben wir eine fortschrittliche Regierung, die sich der Umsetzung des Friedensprozesses verschrieben hat und die vor der großen zusätzlichen Herausforderung steht, gleichzeitig Dialoge mit historischen Guerillagruppen wie der Nationalen Befreiungsarmee zu führen, mit Gruppierungen, die nicht nach Havanna gegangen sind oder die nach Havanna gegangen sind und das Abkommen nicht anerkannt haben, und mit Gruppen, die Gewalt erzeugen und aus dem Drogenhandel kommen. Das ist sehr gewagt, sehr schwierig.

Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen, weder bei meinen Studien noch bei meinen Erfahrungen in anderen Konfliktländern. Die Gewalt geht auf dem Land weiter. Das ist etwas anderes als in den Städten. Aber wir sind sehr optimistisch, dass es zumindest in der öffentlichen Politik Fortschritte geben wird. Die katholische Kirche Kolumbiens unterstützt nachdrücklich diese Prozesse des derzeitigen Präsidenten, die genau darauf abzielen, wie man födern kann, dass der stigmatisierte und durch den Drogenhandel unterdrückte Kleinbauer, der Koka oder Marihuana anbaut, andere landwirtschaftliche Produkte anpflanzt und auch einen Markt dafür findet. Das ist also die große Herausforderung. Es wird mehr Zeit brauchen als diese drei verbleibenden Jahre dieser liberalen Regierung, wenn wir das erreichen wollen. In Kolumbien gibt es eine große Polarisierung, aber das ist in Chile, in Mexiko, in Brasilien genauso, zwischen den Kräften, die traditionell an der Macht sind, und den Kräften, die für mehr Demokratie eintreten. Es gibt also eine Spaltung in der Bevölkerung selbst. Es gibt eine Menge Fake News, die die Bevölkerung manchmal verwirren. Wir haben das in Chile bei der Abstimmung über die neue Verfassung und in Kolumbien bei der Volksabstimmung über die Ratifizierung des Friedensabkommens gesehen.

Autor:
  • Porträtfoto von Markus Langer
    Markus A. Langer

Martha Inés Romero über die Aufgaben von Pax Christi

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