Oikocredit kämpft gegen Ungleichheit in der Welt

Für eine bessere Zukunft
Ausgabe Nr. 23
  • Soziales
Autor:
indische Schneiderin Pitalla
Vor allem Frauen profitieren von der Vergabe von Mikrokrediten. Damit können sie sich eine eigene Existenz aufbauen und verdienen ein Einkommen für ihre Familien. So wird beispielsweise die indische Schneiderin Pittala beim Kauf einer Nähmaschine unterstützt. ©Opmeer Reports
Photovoltaik Côte d'Ivoire Oikocredit
Weltweit haben etwa 600 Millionen Menschen keinen Zugang zu Elektrizität, die meisten davon in Afrika südlich der Sahara. Elektrizität ist ein wesentlicher Faktor bei der Armutsbekämpfung. Das Sozialunternehmen "Balbao+" versorgt beispielsweise in Côte d'Ivoire Familien mit Photovoltaikpanels. ©Opmeer Reports
Mirjam ´t Lam - Geschäftsführerin Oikocredit International
Mirjam ´t Lam verfügt über 20 Jahre Erfahrung im Finanzdienstleistungsbereich. ©Markus A. Langer

Seit Dezember 2021 ist Mirjam ´t Lam Geschäftsführerin von Oikocredit International, einer internationalen Entwicklungsgenossenschaft. Lässt sich mit Mikrokrediten die Armut aus der Welt schaffen?

Vor 48 Jahren wurde Oikocredit gegründet. Die Idee dafür kam aus dem Ökumenischen Weltrat der Kirchen. Die christlichen Kirchen haben bei der Gründung und beim Aufbau sehr viel beigetragen. Gibt es aktuell kirchliche Investoren oder ist Oikocredit heute nur mehr eine rein weltliche Organisation?

Mirjam ´t Lam: Oikocredit wurde als eine Genossenschaft gegründet. Die 528 Genossenschaftsmitglieder sind immer noch kirchliche Organisationen oder die Förderkreise in einzelnen Ländern. Was wir in den letzten Jahrzehnten gesehen haben, ist, dass das Kapital mehr und mehr von Investoren in Verbindung mit den Förderkreisen angelegt wird. Im Gegensatz dazu ist das Kapital von den Kirchen weniger geworden. Wir sind noch immer in Kontakt mit dem Team des Weltrats der Kirchen in Genf und überlegen, wo wir zusammenarbeiten können. Wir haben jedoch festgestellt, dass der Schwerpunkt unserer Arbeit wirklich mit Partnern auf der lokalen Ebene liegt. Wir wollen konkret das Leben der Menschen verbessern, und das wünschen sich auch unsere Kapitalanleger. Der Ökumenische Weltrat der Kirchen ist mehr eine politische Organisation, arbeitet auf der Weltebene und versucht seinen Einfluss z. B. bei den Vereinten Nationen geltend zu machen. 

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Wie sehen Sie die Bedeutung von Mikrofinanz gegenwärtig? Es gibt Stimmen, die sagen, diese sei zurückgegangen. 

Wenn es um die großen Herausforderungen auf der Welt – Armut, Hunger, Klimawandel – geht, ist eine Finanzdienstleistung für Personen mit wenig Einkommen eine Lösung. Sie ist aber nicht die Lösung für all diese drei Probleme. Das haben auch Studien zur Mikrofinanzierung gezeigt. Frauen profitieren eindeutig von der Vergabe von Mikrokrediten. Viel mehr Frauen als Männer im globalen Süden haben ein Geschäft begonnen und bekommen nun ein Einkommen. Das Mikrofinanzwesen kann die Armut nicht gänzlich verschwinden lassen, aber es steigert die wirtschaftlichen Aktivitäten. Es gibt heute viele Start-ups in Mexiko, aber auch in Kolumbien, Kenia oder Côte d’Ivoire. Viele junge Leute möchten einen Betrieb gründen und brauchen dazu ein Startkapitel. Es ist gut für die Wirtschaft, wenn neue Ideen entstehen. Ein großer Vorteil: Die Jungen kennen den lokalen Markt und die Bedürfnisse der Kunden und können sich genau darauf einstellen. Wir unterstützen hier vor allem Unternehmen, die sich mit Finanztechnologien, Energietechnik oder landwirtschaftlichen Kulturtechniken beschäftigen. 

Um welche Summen geht es, wenn eine Frau für ihre Familie ein kleines Geschäft eröffnen möchte?

Ich nenne ein Beispiel aus Indien. Wir haben im Februar diesen Jahres einen Mikrokreditverein besucht, in dem sich 40.000 Frauen vereinigt haben. Dieser vergibt Kredite in der Höhe von 50 bis 1.000 Euro. Die Inhaberin eines Kleidergeschäftes hat einen Kredit von 390 Euro bekommen, um eine neue Nähmaschine zu kaufen. Sie hat diesen in zwei Monaten zurückgezahlt mit dem Erlös, den sie durch den Verkauf von Kleidern erzielt hatte. Jetzt hat sie weitere drei Nähmaschinen gekauft und drei Mitarbeiterinnen eingestellt. Generell bewegen sich die Mikrokredite zwischen 50 bis 2.500 Euro, das kann je nach Land noch variieren. Uns ist es immer wichtig, vor der Kreditvergabe zu untersuchen, in welchem Zeitraum der Kredit auch wieder zurückgezahlt werden kann. 
 

Oikocredit hat sich strategisch neu aufgestellt. Wie sehr unterscheidet sich die neue Strategie von der bisherigen?

Die Zielrichtung ist geblieben: Wir sind noch immer da, um Ungleichheit in der Welt zu bekämpfen. Das erwarten unsere Anleger und Mitglieder. Was neu ist: Wir müssen nicht nur die Widerstandsfähigkeit der Menschen stärken, sondern auch die Widerstandsfähigkeit ihrer Lebensumgebung. In Zeiten des Klimawandels heißt das zum Beispiel, was bedeutet es, wenn es für die Landwirtschaft weniger Wasser gibt. Wir müssen auch noch immer schauen, wie wir den Zugang zu Bildung fördern können. Zusätzlich unterstützen wir Projekte mit Schwerpunkt im Wohnungsbau, in der Wasserversorgung und Abwasseraufbereitung, in der Errichtung von Sanitäranlagen sowie in der Energieversorgung. Heutzutage gibt es viele Investoren, die mit ihrer Geldanlage soziale und ökologische Mehrwerte erreichen wollen. In diesem Wettbewerb müssen wir einfach besser werden. Wir dürfen nicht nur sagen: 2022 erreichen wir 38 Millionen Menschen in Entwicklungsländern. Wir müssen fragen: Sind die Leute auch wirklich zufrieden? Haben sie tatsächlich eine gute Leistung bekommen? Und wie geht es ihnen? Wir müssen durch mehr Transparenz zeigen, welche positiven Auswirkungen unsere Projekte haben. Gleichzeitig müssen wir auch aufzeigen, wie sich Klimawandel oder andere Krisen auf deren Widerstandsfähigkeit auswirken.
 

In den vergangenen Jahren wurde der Fokus bewusst auf Afrika gelegt. Wie sieht dort die momentane Situation aus?

Wir arbeiten weltweit mit 590 Partnern in 33 Ländern zusammen. Für Projektfinanzierungen stand 2022 eine Milliarde Euro zur Verfügung. 20 Prozent davon, 180 Millionen Euro, wurden in 14 afrikanischen Ländern in den drei Sektoren Mikrofinanz, Landwirtschaft und erneuerbare Energie investiert. Das war ein bisschen weniger als 2021, weil die Kreditnachfrage in Afrika tatsächlich niedrig war. Das hat zu tun mit steigenden Kosten für die Kredite. Man hat ein bisschen Angst gehabt: Können wir die höheren Kosten wirklich tragen? Im Vergleich dazu gab es in Lateinamerika ein Wachstum, weil der US-Dollar sehr stark war. Viele Volkswirtschaften in Lateinamerika sind an den Dollar gekoppelt und somit gibt es nicht das Problem mit dem Währungsumtausch. Wir haben außerdem ein großes Wachstum in Indien gesehen. Man hat dort eigentlich nicht so viel bemerkt von der Covid-Pandemie und vom Krieg in der Ukraine. Indien ist ein großer Markt für Mikrokredite: 229 Millionen Menschen haben auf dem Subkontinent noch immer keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen.
 

Mirjam ´t Lam

Seit Dezember 2021 ist Mirjam ´t Lam Geschäftsführerin von Oikocredit International. ´t Lam hat im November 2020 als Direktorin für Finanzen und Risikomanagement bei Oikocredit International begonnen und war seit August 2021 zusätzlich Interimsgeschäftsführerin. 
Mirjam ´t Lam verfügt über 20 Jahre Erfahrung im Finanzdienstleistungsbereich. Sie kam von der afrikanischen Investmentgesellschaft Arise zu Oikocredit, wo sie als Chief Financial Risk Officer tätig war und eine führende Rolle beim Aufbau der Organisation spielte.
 

Wie sehen Sie die Rolle von Oikocredit bezüglich Eindämmung von Wanderungsbewegungen? Wir haben ständig die Berichte vor Augen, dass Menschen vom afrikanischen Kontinent nach Europa gehen, weil sie zu Hause keine Zukunft sehen. 

Wir lesen und hören das auch. Deshalb setzen wir mit unserer Strategie stark auf die Widerstandsfähigkeit des lokalen Umfelds der Menschen. Wir wollen ihnen eine Zukunft in ihrem Zuhause geben. Deshalb investieren wir in Afrika mit lokalen Partnern in Bildung, Arbeit und Klimaschutz. Das gilt auch für Lateinamerika oder für Indien. Vielleicht kommen die Inderinnen und Inder nicht nach Europa, aber sie wandern in die Großstädte wie Mumbai oder Neu Delhi ab, die diese Wanderungsströme jedoch schwer bewältigen können. 
 

Zum Abschluss eine persönliche Frage: An was oder wen glauben Sie? 

Ich glaube nicht nur, ich bin davon überzeugt, dass hier auf Erden die Menschen im Herzen gut sind. Aufgrund ihres sozialen und wirtschaftlichen Umfelds kommt nicht immer das Gute und Schöne aus einer Persönlichkeit heraus, deshalb haben wir Krieg, Terror und Ungerechtigkeit. Aber ich glaube, dass Leute zunächst einander helfen möchten. Wenn man sich dann auch auf etwas einigt, kann Großes passieren. Wir vereinen unterschiedliche Glaubensrichtungen in unserer Familie: Ich bin Christin, mein Partner kommt aus Marokko und ist Muslim. Wir haben auch israelische Verwandte. Ich denke, dieses Ökumenische macht unser Leben aus. Wir sind uns alle darin einig, dass es nach unserem irdischen Leben etwas gibt.  
 

Oikocredit International

Oikocredit ist eine internationale Entwicklungsgenossenschaft mit Sitz in Amersfoort, Niederlande. Sie engagiert sich in den Bereichen finanzielle Inklusion (z. B. Mikrofinanz), Landwirtschaft und erneuerbare Energien. Oikocredit bietet ihren Partnerorganisationen neben Finanzdienstleistungen auch Schulungen und Beratungen.

 

Seit 1990 ist Oikocredit auch in Österreich vertreten. Hier investieren 6.625 Anlegerinnen und Anleger mit einer Gesamtsumme von 129 Millionen Euro in die Aktivitäten der Genossenschaft.

Wenn Sie sich für ethisches Investment interessieren, dann kontaktieren Sie einfach Oikocredit Austria:
austria@oikocredit.at oder +43 (0) 1 505 48 55

Autor:
  • Stefan Hauser
  • Porträtfoto von Markus Langer
    Markus A. Langer
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