Militärbischof: Auf der Suche nach Frieden

Militärbischof Werner Freistetter
Ausgabe Nr. 43
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Militärbischof Werner Freistetter will zur Gewissensbildung der Soldaten beitragen. ©HBF/Kulec

Exklusiven Interview mit Militärbischof Werner Freistetter - Entdecken Sie die tiefe Verbindung von Religion und Frieden. Erfahren Sie zudem wie man mit aktuellen geopolitischen Spannungen umgeht.

Seit Februar 2022 verteidigt sich die Ukraine gegen den Angriff Russlands. Wie hier Wege zu einem gerechten und dauerhaften Frieden gefunden werden können? „Niemand weiß eine Antwort, weil wir nicht wissen, wie dieser Krieg auf europäischem Boden ausgehen wird und wie dann die Machtverhältnisse sein werden“, sagt Militärbischof Werner Freistetter im Gespräch mit dem SONNTAG. „Dies ist für viele von uns, die wir im Westen nicht mehr so gewohnt sind, mit Unsicherheiten umzugehen, sehr belastend: Dass man sagen muss, wir müssen sehen, wie das ausgeht“, unterstreicht Freistetter: „Man muss alle Initiativen setzen und die Gesprächskanäle, von denen immer wieder gesprochen wird, offenhalten.“

Und, so Freistetter: „Es ist im Grunde genommen die alte Frage nach Recht und Macht. In der ganzen Entwicklung des internationalen Systems, das wir nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hatten, gab es diese Klarheit im Völkerrecht, dass beispielsweise Staaten souverän sind, egal wie mächtig sie sind, oder ob klein oder groß. Aber sie haben dieselben Rechte. Und wenn mächtige Staaten wie Russland und China Ansichten vertreten, dass es eigentlich nur einige souveräne Staaten in der Welt gibt, nämlich die, die mächtig sind, und dass sich die anderen danach zu richten haben, dann haben wir eine Situation, wie wir sie vor dem Ersten Weltkrieg hatten.“

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Ihr bischöflicher Wahlspruch lautet „Religio et Pax“. Wie gehören Religion und Friede zusammen?

WERNER FREISTETTER: Ich habe jahrelang ein Institut in der Militärseelsorge geleitet, das „Institut für Religion und Frieden“ hieß. Ich habe aber nicht nur deshalb diesen Wahlspruch gewählt, sondern weil ich denke, dass das Herz aller großen Religionen im Grunde genommen der Friede ist. Ich denke auch an den immer wiederkehrenden Gruß Jesu: „Der Friede sei mit euch.“ Als ich das Motto gewählt habe, wurden Religionen in der Öffentlichkeit vor allem unter dem Gesichtspunkt von Radikalismus, Extremismus und Gefahr gesehen. Ich wollte mit meinem Wahlspruch einen Kontrapunkt setzen gegen diese weitverbreitete Atmosphäre gegenüber den Religionen.

Wie kann die katholische Militärseelsorge für den Frieden wirken? Welche Impulse kann sie setzen?

Eine der wichtigsten Aufgaben, die wir haben, ist die Gewissensbildung. Dazu kommt die Begleitung der Soldaten bei religiösen Fragen, bei den menschlichen Fragen des Zusammenlebens, der Kameradschaft. Es ist ganz wichtig, beim stark durchstrukturierten Militär die Frage des Gewissens hineinzubringen und all das, was die Kirche durch die Jahrhunderte immer dazu vertreten hat, auch als es noch die Theorien des gerechten Krieges gab. Das Ziel ist der Friede, seit Augustinus und Thomas von Aquin. In den letzten Jahrzehnten wurde in den christlichen Kirchen viel über einen gerechten Frieden nachgedacht. Und dies wollen wir den Soldaten nahebringen. Beim letzten Ad-limina-Besuch der Bischöfe in Rom habe ich Papst Franziskus gefragt, was er den Militär-Seelsorgern raten würde.

„Wir haben in der Welt eine Situation wie vor dem Ersten Weltkrieg.“

Werner Freistetter

So wie die Soldaten zu Johannes dem Täufer gekommen sind und gefragt haben: Was sollen wir tun? Papst Franziskus betonte aufgrund seiner Erfahrung in Argentinien, dass es darum geht, den Soldaten einfach das Evangelium zu bringen. Das Evangelium eröffnet Horizonte und Perspektiven, schafft Hoffnung und Freude.

Ein spirituelles Ereignis der katholischen Militärseelsorge ist die internationale Soldaten-Wallfahrt nach Lourdes. Welche Kraft geht davon aus?

Lourdes ist ein erstaunliches Phänomen. Ich bin mit Lourdes seit meiner Kindheit verbunden, weil mein Vater Ende der 50er- bis Anfang der 70er-Jahre intensiv mit der Vorbereitung und Durchführung dieser Wallfahrt zu tun hatte. Es ist auch die Atmosphäre – die Grotte, der Fluss, die Berge. Das spüren viele Soldaten. Das Wichtigste ist die internationale Begegnung, wo viele Soldaten zum ersten Mal Kameraden und Kameradinnen aus anderen Nationen erleben. Da wird plötzlich lebendig, was man normalerweise im Alltag der Soldaten, auch in unserem alltäglichen Leben, kaum wahrnimmt, dass die Kirche eine weltumspannende Gemeinschaft ist. Man singt und betet gemeinsam. Manche Soldatinnen und Soldaten gehen dann in der Nacht zur Grotte und und beten. Da gibt es auch innere Aufbrüche. Es kommen nicht alle gleich als Gläubige aus Lourdes zurück, aber sie machen eine positive Erfahrung von Kirche und der Botschaft von Lourdes. Dort steht die Bitte um Frieden, also Umkehr, Versöhnung und Heilung, im Mittelpunkt.

Sie stellen in Ihrem Buch eine gewisse Gott-Vergessenheit in der Kirche fest. Wie entkommt die Kirche dieser Vergessenheit?

Es gibt immer die Versuchung, sich auf alles Mögliche zu konzentrieren und die Frage nach Gott selbstverständlich mitzunehmen. Ich denke an das geflügelte Wort: Erfolg ist kein Name Gottes. Dabei möchten wir immer Erfolg haben, diesen Gottesdienst, jene Begegnung so gut wie möglich zu gestalten. Wir wollen sehen, angreifen und verrechnen können. Dabei von der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes zu sprechen und sie als gegenwärtig zu erfahren, ist eine Herausforderung, die weit über das Organisatorische hinausgeht. Weil dies eine durchaus schwierige Dimension ist, tendieren wir dazu, das zu vergessen, weil wir so viel zu tun haben. Das meine ich mit der Gottvergessenheit.

Anders gesagt: Gott ist unbedingt der Rede wert?

Ja, unbedingt. Es gibt Aufbrüche und Menschen, die uns an Gott erinnern. Aber es ist eine Frage, die sehr ins Persönliche geht, wie sehr ich diese unsichtbare, ungreifbare Wirklichkeit Gottes für mich als wirklich erfahre und erlebe. Dieses Bemühen hört eigentlich nie im Leben auf. Wir müssen uns auf die Frage nach Gott einlassen. Auch weil sie eine abgründige ist. Vor Abgründen haben wir immer Angst. Der lebendige Gott der Bibel ist nicht einfach nur ein lieber Gott. Da ist immer auch ein Anspruch vorhanden. Sich dem immer wieder zu stellen, das erfordert den eigentlichen Akt des Glaubens. Dieser stellt sich nicht automatisch ein. Diesen Glauben können wir auch nicht einfach organisieren und machen.

Sie beklagen in Ihrem Buch auch, dass wir den Umgang mit Schuld verlernt hätten. Was ist da zu tun?

Ich frage mich oft: Haben wir es jemals gekonnt? In meiner Kindheit und Jugend war sehr viel von Sünde und Schuld die Rede, von einer möglichen Übertretung einer Regel, eines Gebotes. Das sah dann so aus: Da gibt es das Gebot, die Regel, und dies und das darf ich nicht. Da ist oft auf der Strecke geblieben, dass es bei Schuld um eine sehr persönliche, existenzielle Erfahrung geht.

„Wir sehen Schuld oft bei anderen, wir sehen sie weniger bei uns selber.“

Werner Freistetter

Momentan haben wir in unserer Gesellschaft ein sehr ambivalentes Verhältnis zu der Frage des Schuldigwerdens. Wir sehen Schuld oft und schnell bei anderen, wir sehen sie weniger bei uns selber. Es gibt auch Menschen, die sind von Schuldgefühlen und Schuldkomplexen geplagt. Es gibt wieder andere, die meinen, für alles Erklärungen zu haben, warum einer so oder so handelt. Wir sind nicht mehr geprägt von der Angst vor Schuld und Sünde, sondern wir bemühen uns, sie wegzuerklären. Außer es geschieht etwas wirklich Unmenschliches. Dann sind wir sehr unbarmherzig im Umgang mit solchem Fehlverhalten. Und das ist ein Widerspruch, wie ich immer wieder feststelle. Auch in Filmen. Bei dem Film „Wie im Himmel“ geht es um Musik, Musik, Musik. Wunderschön. Aber es gibt da auch einen Konflikt zwischen einem evangelischen Pastor und seiner Frau. Sie sagt: Ihr Priester habt die Sünde erfunden. Bei diesem Konflikt wird er schuldig. Und sie ist dann ganz unbarmherzig. Wenn einer an mir schuldig wird, dann ist von Verzeihen und Versöhnung nicht mehr die Rede.

Aber die Kirche kennt doch das Bekennen der Schuld  und auch die Vergebung ...

Dieses Thema bewegt viele Menschen. Nur ist es sehr schwer, sich dem zu stellen. Wir haben in der Kirche eine Kultur vom Bekennen der Sünden, von Vergebung und Versöhnung. Manche empfinden aber zum Beispiel das Schuldbekenntnis am Beginn der Messe als etwas Belastendes. Ich kenne aber die Erfahrung, dass das befreiend ist. Wir zerstören einander nicht, weil wir gesündigt haben, weil wir schuldbeladene Menschen sind, sondern wir feiern Versöhnung und Verzeihung. In unserer säkularisierten Atmosphäre haben viele Menschen wirkliche Schwierigkeiten mit Schuld und Sünde. Vor allem die ältere Generation, weil sie in einer schuldgesättigten Zeit aufgewachsen ist. Das hat dem Thema und auch der Kirche nicht gutgetan. Wenn etwas Unmenschliches passiert, bricht immer wieder die Frage auf, und das Verlangen nach Sanktion und Strafe ist dann schnell da. Das ist die eine Seite. Aber es genügt nicht der Tiefe dieser existenziellen Dimension, es braucht auf der anderen Seite unbedingt auch Verzeihung und Vergebung.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
  • Stefan Hauser
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