Klimakleben als letzter Aufschrei

Die Zeit läuft davon
Ausgabe Nr. 25
  • Leben
Autor:
Pater Jörg Alt
Jesuitenpater Jörg Alt klebt sich bei der Blockade des Karlsplatzes in München auf der Straße fest. ©Mufkinnphotos/Zuma/picturedesk.com
Jonas Seyr
HTL-Maturant Jonas Seyr, der den Verkehr vor dem Schloss Schönbrunn behindert, wird von der Wiener Westeinfahrt entfernt. ©Max Slovencik/EXPA/picturedesk.com
Pater Jörg Alt und Jonas Seyr
Pater Jörg Alt und Jonas Seyr ©Markus A. Langer

Warum ein Jesuitenpater in den zivilen Widerstand geht und gemeinsam mit Mitgliedern der "Letzten Generation" als Klimaaktivist die Gesellschaft wachrütteln möchte. Ein Interview mit Pater Jörg Alt, der erklärt, dass Beten alleine in der Klimakrise nicht reichen wird.

Für den deutschen Jesuitenpater Jörg Alt und den oberösterreichischen HTL-Maturanten Jonas Seyr ist eines klar: Die Zeit, um die von der Politik gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen, läuft ab. Das „Klimakleben“ auf Autostraßen mit Staus als Folge bezeichnet der Sozialwissenschaftler Alt als notwendigen symbolischen Akt, sich der fahrlässigen Säumigkeit der Politik buchstäblich in den Weg zu stellen. Geht der Kohlendioxid-Ausstoß im bisherigen Ausmaß weiter, steuert die Welt auf eine Katastrophe zu, alarmiert der junge Klimaaktivist der „Letzten Generation“.

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Die globale Erderwärmung bis 2100 unter 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, ist aktuell das wichtigste Klimaziel. Eine neue Studie der Universität Stanford sagt, dass die Grenzen schon weitaus früher erreicht werden. 1,5 °C bereits in den 2030ern und die Schwelle 2,0 °C mit 2060. Wie geht es Ihnen mit solchen Prognosen?

Jörg Alt: Das 1,5-Grad-Ziel schaffen wir sowieso nicht mehr. Also, kein seriöser Wissenschaftler glaubt mehr daran. Mit ganz viel Glück gelingt uns vielleicht noch das 2-Grad-Ziel. Aber wenn man schaut, was die Regierungen der Welt tun, sind wir gerade auf Kurs in eine 2,7 bis 3 Grad heißere Welt. 

Wie sind Sie selbst zum Klimaaktivisten geworden? Wie sind Sie zur Gruppe der „Letzten Generation“ gekommen? Was hat Sie wachgerüttelt? 

Jonas Seyr: Wachgerüttelt ist der richtige Begriff dafür. Ich habe mich mit dem Thema „Klimawandel“ in den Herbstferien vergangenen Jahres näher beschäftigt. Ich war schockiert, dass ich immer geglaubt habe, dass wir daheim ökologisch sehr viel richtig machen. Ich glaubte bis vor Kurzem, dass ich zu den Menschen gehöre, die das Klima nicht so stark beeinflussen. Das stimmt überhaupt nicht. Jeder und jede von uns ist speziell in Österreich eine sehr große Belastung für das Klima. Wir müssen etwas Drastisches ändern, auch individuell bei uns im Lebensstil. 

Jörg Alt: Es gibt einen schönen Spruch von UN-Generalsekretär Antonio Guterres: „Normalerweise werden Klimaaktivisten als gefährliche Radikale bezeichnet, weil sie Gesetze brechen und Straftaten begehen. Aber die eigentlich Radikalen sind jene, die weiterhin fossile Energien verwenden und natürlich auch noch mit Steuergeldern subventionieren.“

Pater Alt, Sie sind schon sehr lange politisch aktiv in verschiedenen Etappen Ihres Lebens. Warum sind Sie jetzt Unterstützer von der „Letzten Generation“ und blockieren Straßen? 

Jörg Alt: Ich habe jahrzehntelang für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit gearbeitet, war dabei auch sehr erfolgreich und habe viele Auszeichnungen bekommen. Aber die „Fridays for Future“ haben mir deutlich gemacht, wie ernst die Situation ist, wenn wir auf Klimakipppunkte zusteuern und dadurch irreversibel in ein Stadium kommen, das in vielen Bereichen der Welt das Leben von Menschen nicht mehr möglich macht. Der Hungerstreik von jungen Menschen hat mir klargemacht, dass uns die Zeit ausgeht, also dass bis 2025 Weichen gestellt werden müssen oder eben nicht gestellt werden, die über unsere Zukunft entscheiden. Wenn wir das verstehen, dass wir nur noch so wenig Zeit haben, kann man nicht so weitermachen wie die letzten 40 Jahre, weil das alles nichts gebracht hat. Sondern man muss sich überlegen, wie man diese Gefahr, die auf uns zukommt, so in den öffentlichen Raum stellt, dass sie nicht weiter ignoriert werden kann. 

Wie politisch sollten aus Ihrer Sicht Christen sein und wie weit sollten sie gehen? 

Jörg Alt: Wenn man so in die Bibel schaut, dann stellt man schon fest, dass es immer schon einen politischen Glauben gegeben hat. Also, die Propheten waren keine Leisetreter, wenn es darum gegangen ist, Ungerechtigkeit anzuprangern. Jesus hat Gesetze gebrochen und hat die Händler zum Tempel hinausgetrieben. Es gibt in den christlichen Heiligenkalendern Gestalten, die sich nicht nur karitativ eingesetzt haben, sondern ganz aktiv Unrecht bei den politisch Mächtigen angeprangert haben. Bei den Jesuiten waren das zum Beispiel die Reduktionen, wo man versucht hat, die Indianer in Südamerika vor den Kolonisatoren zu retten. Oder Stan Swamy, der letztes Jahr im Gefängnis gestorben ist, weil er für die Rechte der indischen Ureinwohner eingetreten ist. Also insofern kann man sagen, dass politisches Engagement eigentlich schon einmal etwas sehr Christliches ist. Natürlich kann dieses politische Engagement viele Formen haben. Da muss jeder schauen, was zu ihm passt. Aber die jetzige Situation ist so alarmierend, dass wirklich jeder Christ sich fragen muss: Was tue ich im gesellschaftspolitischen Raum? Also, einfach nur zu sagen, ich bete für eine bessere Welt, ist Blödsinn, weil das Problem, um das es gerade geht, die Überschreitung der planetaren Grenzen oder die Erdüberhitzung, ist menschengemacht. Da hat der liebe Gott überhaupt nichts damit zu tun. Wir haben das Problem angerichtet und wir müssen es lösen. 

Polizei und Staatsanwaltschaft in Deutschland waren Ende Mai mit einer Razzia gegen die „Letzte Generation“ vorgegangen. Der Vorwurf lautet auf Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Wie nehmen Sie diese Entwicklung wahr?

Jörg Alt: Ich stelle zumindest in Deutschland fest, dass zunehmend versucht wird, die Protestierenden zu kriminalisieren, statt dass man auf die Motivation und die Inhalte dieses Protests eingeht. Das ist ein typischer Sündenbockverhalten, wenn man sich unbequemen Wahrheiten nicht stellen will, dass man dann eben versucht, auf Nebenschauplätze auszuweichen. Ich denke dann immer mit heimlicher Freude an das, was auch führende Köpfe bei der "Letzten Generation" sagen. Sie berufen sich auf Gandhi, der einmal für die Dynamik zivilen Widerstands festgestellt hat: "Zuerst ignorieren sie dich, dann belächeln sie dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du." Wir sind mittlerweile ganz klar im dritten Stadium.

Jonas Seyr: Es ist ein ziemlich händeringender Versuch gewesen, konkret von Bayern aus, die Webseiten der "Letzten Generation" herunterzufahren und sie als kriminelle Vereinigung zu deklarieren. Wir sind zu 100 Prozent gewaltfrei und sicherlich keine kriminelle Vereinigung. Wir wollen nur dieser störende Feueralarm sein, der Menschen wachrüttelt und sie realisieren lässt, in welcher schönen Scheinwelt sie leben.

Haben Sie auch Angst, dass es bei Blockaden zu Gewalt kommt, dass nicht nur mehr Joghurt über Protestierende geschüttet wird?

Jonas Seyr: Natürlich hat man Angst davor, dass man Gewalt erfahren muss. Aber die Angst vor der Katastrophe, vor der riesigen Gewaltwelle, die was auf uns zukommen wird, wenn Klimaflüchtlingsströme zu uns kommen, wenn Menschen an ihrem Heimatort nicht mehr leben können, weil die Lebensgrundlage fehlt, ist eine viel größere Angst. Zu einem Teil verstehe ich auch die Menschen, weil sie reagieren grundsätzlich ganz simpel: Da sie es nicht verstehen, reagieren sie mit Gewalt darauf. Das sollte einen nicht belustigen oder man sollte es nicht als dumm finden, sondern man sollte sich dazu gezwungen fühlen, diese Menschen aufzuklären. Jeder Mensch, dem klar wird, dass die Katastrophe kommen wird, bin ich mir sehr sicher, wird zumindest die Proteste unterstützen und selbst auch klimaaktivistisch tätig werden.

Welchen Mut und welche Stärke braucht es für den zivilen Widerstand? Was sollen jene tun, die dies nicht haben?

Jörg Alt: Natürlich kann man nicht von allen verlangen, dass sie sich an solchen Protestformen beteiligen. Wesentlich ist, dass jeder überlegt, was er oder sie tun kann. Welche Methoden das sind, ist egal. Aber mir ist auch wichtig, dass man in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte all jenen widerspricht, die auf die „kriminellen“ Klimakleber eindreschen, statt das Problem zu lösen. Also dass man einfach aufsteht und sagt: „Moment mal, warum machen die das überhaupt?“ Wenn die Regierungen sich an ihre vertraglichen Verpflichtungen der Pariser Verträge, an die Klimagesetze und die Gerichtsurteile, die es dazu gibt, halten würden, dann bräuchte es diesen Protest gar nicht. Wir versuchen durch öffentliches Einmischen die Diskussion wieder dorthin zu bringen, wohin sie gehört, nämlich auf die Gefahr hinzuweisen, die auf uns zurollt. 

Jonas Seyr: Nicht nur öffentlich, sondern auch privat. Beschäftigt euch mit der Klimakrise, es ist eure Zukunft! Versucht uns vielleicht auch zu verstehen, warum wir das überhaupt machen. Und dann, wenn ihr verstanden habt, auf welche Katastrophe wir zusteuern, dann sucht euch genau die Protestform, die euch am besten gefällt und in der ihr euch am wohlsten fühlt. Am besten klärt jeden Menschen in eurem Bekanntenkreis darüber auf: Das Leben, wie wir es heute gewohnt sind, wird sich ändern. 

Die Energiekrise, verursacht von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, hat auch nicht zu einem Umdenken geführt. Die Regierungen haben nur geschaut, wo sie fossile Energie von anderen Ländern außer Russland bekommen können.

Jörg Alt: Das stimmt natürlich. Hier haben wir eine Gelegenheit verpasst. Man hätte natürlich genauso gut sagen können: "Okay, das war jetzt der letzte Weckruf, um einen festen Ausstiegsplan aus den fossilen Energien vorzulegen." Aber immerhin muss man zu unseren Gunsten auch festhalten, dass es uns gelungen ist, trotz Corona und Ukrainekrise den Klimaschutz immer noch auf Platz eins in der öffentlichen Agenda zu halten. Das ist auch keine geringe Leistung, weil ohne unsere Proteste wäre das Thema völlig verschwunden - nach dem Motto „Jetzt gucken wir erst mal, wie wir durch den Krieg kommen und dann kümmern wir uns ums Klima." Aber das ist genau der Irrtum. Die Naturgesetze kümmert es einen Scheißdreck, ob wir jetzt Corona oder den Ukraine-Krieg haben. Wenn wir weiterhin die Treibhausgasemissionen so steigern, wie wir es gerade tun, dann wird irgendwann das Klimasystem ins Kippen kommen, denn mit Naturgesetzen kann man nicht verhandeln.

Was macht Ihnen angesichts der drohenden Klimakatastrophe Hoffnung? Woraus schöpfen Sie Kraft?

Jörg Alt: Meine Erfahrung als politischer Aktivist stützt sich durchaus auf gewisse Erfolge. Eine Lehre, die ich aus meinem aktivistischen Leben der letzten Jahrzehnte gewonnen habe, ist, dass Gott auf krummen Dingen gerade schreibt. Zum Beispiel bei der Verbotskonvention für Antipersonenminen oder bei der friedlichen Wende in der DDR oder bei vielen anderen Sachen, die ich gemacht habe, habe ich immer wieder festgestellt: Man muss tun, von dem man überzeugt ist. Aber man kann auch darauf vertrauen, dass hinter den Kulissen jemand uns entgegen arbeitet. Viele Durchbrüche in meinem Leben sind immer an Stellen erfolgt, wo ich sie nicht erwartet habe. Aber irgendwie hatte ich doch das Gefühl, dass der liebe Gott uns in dem, was wir versuchen, nicht ganz alleine lässt. Auch jetzt in der Klimakatastrophe, die zu 99,9 Prozent gesichert auf uns zukommt, habe ich irgendwie doch immer noch das Vertrauen, dass der allwissende und allliebende Gott von Anfang an gewusst hat, wie dumm und träge der Mensch ist und dass er deswegen vielleicht doch noch irgendwo ein paar Sicherungen eingebaut hat, die uns helfen, gerade noch rechtzeitig die Kurve zu kriegen. Aber das befreit uns nicht von der Verpflichtung, das zu tun, was wir tun können. Denn diese Krise ist menschengemacht, da hat der liebe Gott, wie schon gesagt, nichts damit zu tun. Aber ich verlasse mich auch darauf, dass der liebe Gott all jenen beisteht, die versuchen, diese Katastrophe noch abzuwenden. 

Jonas Seyr: Das Wissen um die Klimakrise gibt mir auch eine gewisse Stärke. Man kann mit diesem Wissen anderen Menschen helfen, dass sie damit klarkommen, etwas in ihrem Lebensstil verändern und hoffentlich diesen unglaublich schönen, menschenfreundlichen, sozialen Weg gehen, um einfach einen klimafreundlichen Planeten zu schaffen. Das klingt heute vielleicht noch wie eine Utopie, aber es wäre ein wunderschöner Weg, auf dem Planeten Erde zu verweilen und in christlicher Nächstenliebe miteinander zu leben. 

Schlagwörter
Autor:
  • Porträtfoto von Markus Langer
    Markus A. Langer
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