Gesellschaft: Wie reagiert die Kirche auf Veränderung?

35. Weinviertelakademie
Ausgabe Nr. 9
  • Soziales
Autor:
Regina Polak
Univ.-Prof. Regina Polak: Kirchliche Akteure bringen christliche Perspektiven in die Gesellschaft ein. ©Joseph Krpelan

Integration, Solidarität und die globalen Herausforderungen. Bei der 35. Weinviertelakademie diskutierten Experten über die Rolle der Kirche.

Als „mutig, weil politisch brisant“ hat die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak das diesjährige Thema der 35. Weinviertelakademie am 22. Februar in Großrußbach bezeichnet. Zum Abend über „Gesellschaftliche Veränderungen über Grenzen hinweg – Wie reagiert Kirche (im Weinviertel) darauf?“ hatten die Gliederungen der Katholischen Aktion des Nord-Vikariats gemeinsam mit der Bildungsakademie Weinviertel, mit dem Katholischen Bildungswerk Wien, mit dem Umweltbüro der Erzdiözese Wien, mit dem Verein „WeinviertelAkademie“ und mit dem SONNTAG eingeladen.

Bischofsvikar Weihbischof Stephan Turnovszky verwies in seiner Begrüßung darauf, dass „mehr als die Hälfte der Priester, die im Weinviertel wirken, aus anderen Ländern stammen“. Und er erinnerte an Maria Loley, die, im Jahr 1995 durch eine Briefbombe verletzt, nach der Genesung die „Bewegung Mitmensch – Flüchtlingshilfe Poysdorf“ begründet hat. Er habe Loley damals im Priesterseminar kennengelernt, sie sei „furchtlos in der Begegnung mit anderen gewesen“. Maria Loley, geboren am 22. November 1924 in Poysdorf, starb am 4. Februar 2016.

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Welttag der Migranten seit 1914

An die drei Prozent der Weltbevölkerung seien Migrantinnen und Migranten, erläuterte Polak, also Menschen, die mindestens ein Jahr außerhalb des Heimatlandes leben. Das gegenwärtige weltweite „Zeitalter der Mauern und Lager“ werde verschärft durch die Klimakatastrophen, dazu komme die Spannung zwischen nationalstaatlich formatierten Demokratien und den Menschenrechten. Polak erinnerte an den „Welttag der Migranten“, der 1914 erstmals von Papst Benedikt XV. ausgerufen worden war. Seit damals gibt es jährliche päpstliche Botschaften anlässlich dieses Tages.  Die Pastoraltheologin plädierte dafür, das Thema „Migration“ ausgehend von Themen wie „Verschiedenheit, Gerechtigkeit und Recht sowie Frieden“ zu betrachten. 

„Teile der Gesellschaft engagieren sich intensiv für und mit Zugewanderten“, stellte Polak fest. Sie lobte den „Nationalen Aktionsplan für Integration“, der „viele gute Beispiele“ zeige. „Kirchliche Akteure wie Bischöfe, Caritas oder Pfarrgemeinden“ brächten die Perspektiven des christlichen Glaubens in die Gesellschaft ein. Die erste päpstliche Pastoralreise führte im Jahr 2013 auf die Insel Lampedusa, erinnerte Polak. Damals beklagte Papst Franziskus eine „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Der Papst leite selbst die Abteilung „Migranten und Flüchtlinge“ im „Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen“.

Auch bei der Synode in Rom im Oktober 2023 seien „Migration und Armut“ die prioritären Themen gewesen. Migration sei ein „Zeichen der Zeit“. Schon vor 20 Jahren, im Mai 2004, habe der damalige „Päpstliche Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs“ die wichtige Instruktion „Erga migrantes Caritas Christi“ („Die Liebe Christi zu den Migranten“) veröffentlicht.

Was Europas Christen vergessen haben

„Die Bibel ist über weite Strecken Migrationsliteratur“, erläuterte Polak, mit Themen wie Flucht, Vertreibung, Deportation, Leben als „Fremde“ im Exil und Diaspora. „Europas Christen haben das vergessen“, so die Pastoraltheologin. Sie erinnerte an die Vielfalt an Migrationstheologien: u. a. der Exodus mit Flucht und Befreiung, Babylon mit der Deportation als Konsequenz der Untreue zu Gott und seinem Ethos und Recht, wie auch der Status der Christinnen und Christen als Pilger, Fremde und Gäste auf Erden. Was sie einbringen können? „Es gilt, Migration als Lernort für alle zu sehen, mit Umkehr und Umdenken“, betonte Polak. Dazu brauche es auch eine „Option für die Marginalisierten als politische Perspektive“.

Es braucht politische Zukunftsbilder

„Es braucht konkrete Hilfe vor Ort als oberstes Prinzip. Und klare Regeln für das Zusammenleben hierzulande“, mahnte Nationalrat Andreas Minnich (ÖVP) bei der Podiumsdiskussion ein. Weihbischof Stephan Turnovszky empfahl „Beten als Kraft des Himmels für die Erde, dazu ein Mut-Machen, sowie im kleinen Bereich das zu tun, was ich kann“. Und er erinnerte an die Enzyklika „Fratelli tutti“ über die Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft von Papst Franziskus aus dem Jahr 2020.

Polak beklagte das „Fehlen von politischen Zukunftsbildern“. Die Bibel kenne etwa dafür den Traum vom „Land, wo Milch und Honig fließen“. Papst Franziskus zitiere gerne ein Wort aus dem Roman „Der Leopard“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert.“

Autor:
  • Stefan Kronthaler
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