Der Spieler auf den Tasten der Genetik

Epigenetik
Ausgabe Nr. 52
  • Leben
Autor:
DNA Doppelhelix Genetik
DNA-Methylierung ist die zurzeit am besten untersuchte epigenetische Veränderung. Diese bezeichnet eine chemische Veränderung der DNA (Erbgut des Menschen), bei der Methylgruppen mithilfe von Enzymen, sogenannten Methyltransferasen, an einzelne Basen der DNA angehängt werden. Dies beeinflusst die Eigenschaften der DNA, ihre Sequenz wird dabei jedoch nicht verändert. Die Methylierung ermöglicht dem Organismus eine selektive Nutzung bestimmter DNA-Bereiche, indem durch diese einfache Modifikation zum Beispiel Gene gezielt stillgelegt werden können. ©LAGUNA DESIGN/Science Photo Library/picturedesk.com
Matthias Beck über Epigenetik
Matthias Beck: "Es ist die eine Information in der Verschiedenheit von genetischer Grundinformation und epigenetischer Schaltinformation." ©Markus A. Langer

Der Theologe und Mediziner Matthias Beck hielt im vergangenen Sommer beim Arbeitskonvent des Alten Ordens vom St. Georg einen Vortrag über das neue Forschungsgebiet „Epigenetik“. Im SONNTAG-Interview erklärt er, dass die Information für das Leben nicht allein in den Genen liegt.

Lange Zeit galt das Dogma der Biologie, dass die Eigenschaften eines Organismus durch das vererbte Genmaterial unveränderbar bestimmt wird. Noch vor 20 Jahren dachte man, die gesamte Information liegt in den Genen.

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Aber dieses Dogma wurde umgestoßen. Was ist passiert?

Matthias Beck: Etwa seit 15 Jahren wissen wir, dass Gene wie Lichtschalter aktiviert und inaktiviert werden müssen. Und das nennt man epigenetische Einflüsse. Wir haben etwa 25.000 Gene und, wie mir Genetiker sagen, etwa schon messbare 1,5 Millionen epigenetische Zusatzeinflüsse. Einfluss hat z.B. der Kaffee, den Sie heute Morgen getrunken haben, der Streit mit der Ehefrau und ob Sie Bewegung machen oder nicht. Und das geht schon los im Embryo. Wir wussten lange nicht, wie die Zelldifferenzierung passiert. Wir haben etwa 220 verschiedene Zelltypen wie Haar-Zellen, Augen-Zellen, Ohren-Zellen. Jetzt weiß man, dass ab dem fünften Tag der Embryonalentwicklung bestimmte Gene abgeschaltet werden. Und dadurch entsteht eine Zelldifferenzierung. Alle Zellen haben denselben genetischen Grundbausatz, aber sie sind unterschiedlich aktiviert. Wie bei einer Flöte werden verschiedene Löcher zugehalten. Je nachdem, welches Loch offen ist, kommt ein anderer Ton raus. Von Anfang an in der Embryonalentwicklung ist diese epigenetische Schaltinformation ins Genom eingebaut. Aber später haben auch unser Denken und Fühlen, all unser Innenleben, alles was uns umgibt, Einfluss auf diese genetisch-epigenetischen Verschaltungen. Das hört ein Leben lang nicht auf. Während wir hier sprechen, werden jetzt Gene anders geschaltet, als wenn ich noch schlafen würde.

Was ist nun wirklich der Unterschied zwischen Genetik und Epigenetik?

Nehmen Sie beispielsweise ein Klavier: Die Tastatur ist die Voraussetzung, dass Musik rauskommt. Wir brauchen zusätzlich einen Klavierspieler, der die Tasten drückt, und dann kommt der Ton raus. Nur beides zusammen, die Vorgabe der Tasten als auch der Klavierspieler, machen die Musik. Philosophisch ist das insofern interessant, weil sich hier zeigt, dass die Information ein „dialogisches Prinzip“ beinhaltet, ein Wechselwirkungsgeschehen ist. Die Gene allein können nichts bewirken. Sie müssen aktiviert oder deaktiviert werden. Die Epigenetik alleine kann auch nichts bewirken. So wie Samen und Eizelle. Jeder für sich stirbt irgendwann ab. Aber zusammen machen sie den Embryo und dieser kann leben. Als Theologe werfe ich einen Blick auf unser dreifaltiges Gottesbild. Ein Gott in der Verschiedenheit der drei Personen. Einheit in Verschiedenheit. Es ist die eine Information in der Verschiedenheit von genetischer Grundinformation und epigenetischer Schaltinformation.

Sie selbst sehen die Sache aber nicht nur zweidimensional ...

Da ist eine dritte Komponente, die ich die geistige Dimension nenne und die man zunächst nur indirekt erschließen kann. Es schalten nämlich nicht Genetik und Epigenetik, sondern die Zelle als Ganzes schaltet. Eine große Wissenschaftstheoretikerin, Evelyn Fox Keller, hat einmal den Ausspruch getätigt: „Der Organismus verhält sich so, als enthielte er einen eigenen Geist.“ Also hinter dieser Doppelheit von Genetik und Epigenetik muss noch einmal das Ganze der Zelle oder das Ganze des Organismus sein, das diese beiden Komponenten Genetik und Epigenetik ins Spiel bringt. Wie schon Aristoteles sagt: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Sie können nicht aus 30.000 Genen einen Menschen zusammenbauen, sondern das Leben muss dem schon zugrunde liegen. Also wenn Samen und Eizelle zusammenkommen, beginnt das neue Leben. Und dann fangen diese Verschaltungen an. Aber das Phänomen des Lebens, also die Ganzheit der Zelle, liegt dem Allem zugrunde.

Die Theologie hat den Begriff der Erbsünde, dass etwas durch Generationen hindurch weitergetragen wird. Gibt es auf der epigenetischen Ebene auch eine Art Weitergabe? Können Traumata, die meine Eltern, meine Großeltern nicht bewältigt haben, auf mich übertragen worden sein?

Es gab, als die Epigenetik aufkam, eine ganz starke Strömung, die gesagt hat, die Traumata meiner Eltern wären epigenetisch weitervererbt. Jetzt kommen immer mehr die Meinungen auf: „Nein, das ist gar nicht so, sondern bei der Zeugung eines neuen Kindes werden die epigenetischen Prägungen der Eltern gelöscht.“ Also ich würde da eine Mittelposition einnehmen. Ich glaube schon, dass epigenetisch Messbares von den Eltern weitergegeben wird. Aber dazu brauchen wir komischerweise die Epigenetik gar nicht. Das wissen wir aus der Psychologie. Die Konflikte, die die Eltern nicht aufgearbeitet haben, tragen die Kinder oft aus. Die Kinder spüren das bis in ihre Organe, in ihre Gene und Epigenetik hinein, wenn ständig Unruhe zu Hause ist und Streit herrscht. Man könnte fast von einer Inkarnation sprechen und das überträgt sich wahrscheinlich über die Generationen hinweg weiter.

Kann Religiosität von Generation zu Generation epigenetisch weitergegeben werden?

Was es sicher nicht gibt, ist das Gottes-Gen. Epigenetik bezieht sich auf Verhaltensweisen. Es geht nicht so direkt, dass ich sage, ich bete jetzt etwas vor und dann schalten sich die Gene. So simpel geht’s nicht. Aber die ständige Einübung, sonntags in die Kirche gehen oder das Tischgebet zu sprechen, wie wir das zu Hause gemacht haben, das prägt die Menschen in jedem Falle. Ich nehme an, das hat dann auch auf diese epigenetischen Verschaltungen Einfluss.

Autor:
  • Porträtfoto von Markus Langer
    Markus A. Langer
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