Reinhold Messner: Eroberer des Nutzlosen

Extrembergsteiger
Ausgabe Nr. 15
  • Soziales
Autor:
"Als selbstbestimmter Mensch habe ich das Recht und die Pflicht, meinem Tun, meinem Leben einen Sinn zu geben." ©Ronny Kiaulehn

Seit seiner Kindheit erklimmt Reinhold Messner die Gipfel dieser Welt. Im Extrembergsteigen findet er seinen persönlichen Sinn. Und auch das Göttliche. 

Entdecken Sie die faszinierende Welt des Extrembergsteigens durch die Augen von Reinhold Messner, der mit unzähligen Erstbesteigungen zu einer Legende wurde.

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Sie haben in Ihrem Leben 3.500 Bergtouren absolviert. Können Sie sich denn noch an Ihre allererste Besteigung erinnern?

REINHOLD MESSNER: Mein erster Berg war der „Sass Rigais“ in Südtirol. Er ist 3.025 Meter hoch. Ich war fünf Jahre alt, ein Knirps. Gefühlt ist das bis heute der höchste Berg, den ich in meinem Leben erklommen habe. Der Blick in den Abgrund hat mich begeistert und erschreckt zugleich. Danach konnte ich nicht glauben, dass ich da oben war. 

Ein Erlebnis, das Sie schon beim ersten Mal nachhaltig beeindruckt hat – was ist daran besonders?

Ich habe größte Empathie für meinen ersten Berg empfunden. Ein Gipfel ist nur ein Umkehrpunkt. Wertvoll sind die Erfahrungen dorthin: Das Hinaufsteigen im Hier und Jetzt, die Anstrengung, die Schrecksekunde, wenn ein Stein fällt – da setzt man sich mit der Natur des Menschen auseinander. Hat man es geschafft, kommt das Gefühl des gelingenden Daseins.

"Ein Gipfel ist nur ein Umkehrpunkt."

Ein Gefühl des gelingenden Daseins, das für Sie am Berg auch mit einer religiösen Dimension verbunden ist. Dabei sind Sie gar nicht religiös.

Ich bezeichne mich als Possibilisten, als Möglichkeitsdenker. Ich respektiere Kirchen und Religionen, halte sie aber für menschengemacht. Das heißt aber nicht, dass es keine göttliche Dimension gibt. In den Bergen treffen Natur und die religiöse Dimension zusammen. Dabei passiert Großes. Das Gleiche, das auch in einer Kathedrale passieren kann.

Wird Gott denn am Berggipfel greifbar?

Der Berg ist ein Symbol der schieren Unendlichkeit im Verhältnis zu uns Menschen. Aber wir Menschen können und sollen uns Gott nicht vorstellen. Wir haben kein Instru­mentarium, das uns hilft, ihn zu erahnen. Zum Glück! Wenn die göttliche Dimension nämlich erkannt wird, dann wird sie obsolet und verschwindet. Falls der Mensch das Göttliche aufklärt, geht die Welt unter.

Sie leben in großem Respekt vor der „Erhabenheit der Berge“. Ist das ein Zugang, der Sie auch mit der Religion verbindet?

Jede Religion hat die Berechtigung, die Berge aus ihrer eigenen Sicht zu verstehen. In meinen Augen ist die respektvollste Haltung den Bergen gegenüber die tibetische. Meister Milarepa reitet der Legende nach auf einem Sonnenstrahl auf den Kailash, einen Berg im Gebirgszug in Tibet. Dabei berührt er den Berg nicht, weil er ihn respektiert. Der Berg soll nicht verändert werden. Dieses großartige Bild wurde in der christlichen Dimension nicht entwickelt.

"In den Bergen treffen Natur und die religiöse Dimension zusammen."

Den Berg nicht verändern – sind Ihnen denn Gipfelkreuze deshalb ein Dorn im Auge?

So radikal sage ich das nicht. Die vorhandenen Kreuze will ich nicht entfernt sehen. Das Gipfelkreuz ist eine späte Erscheinung und nicht Teil unserer alpinen Kultur. Darauf will ich aufmerksam machen und spreche mich gegen neue Kreuze aus.

>Mehr über Reinhold Messner und das Gipfelkreuz finden Sie hier.<

Der traditionelle Alpinismus ist Ihnen heilig. Die selbstständige, eigenverantwortliche Naturerfahrung. Keine präparierten Touristentouren, bei denen das Gipfelfoto mehr zählt als der Weg. Hat der Mensch den Bezug zur Natur verloren?

Durch Industrialisierung und Digitalisierung haben wir den intensiven Kontakt verloren. Zum Draußen, zu dem, was außerhalb des Bildschirms liegt. Und wir werden ihn weiter verlieren. Jahrtausendelang hat der Mensch von der Natur gelernt. Heute gehen Kinder nicht mehr ins Freie. Ob die Naturverbundenheit rückholbar ist, weiß ich nicht. Ich will den traditionellen Alpinismus jedenfalls nicht untergehen lassen – durch mein Tun und durch meine Erzählungen. 

Das Erzählen über ihre Bergliebe haben Sie zuletzt in einem neuen Buch „Pickel, Seil und Mauerhaken“ fortgesetzt. Auch am Berg trifft man Sie nach wie vor. Im nächsten September werden Sie 80 Jahre alt. Ist das eine Zahl, die Angst macht?

So wenig ich das Leben fürchte, so wenig fürchte ich den Tod. Ich lächle über manche Menschen, die unendlich alt werden wollen. Das möchte ich nicht. Die Sterblichkeit ist etwas Positives. Das Altern an sich ist ein schwieriger Prozess, mit dem ich mich derzeit gut zurechtfinde. Ich liebe das Leben. Ich schöpfe es voll aus, mit den Fähigkeiten, die ich noch habe. Wohl anerkennend, dass sie schrumpfen. 

"Die Sterblichkeit ist etwas Positives."

Gibt es Dinge, die Sie bereuen?

Bereuen kommt immer zu spät. Ich erfinde mich immer wieder neu, das ist mein Weg. Ich habe das Leben ausgefüllt, jedoch nicht alles umgesetzt, was ich wollte. Je älter ich werde, umso weniger belastet mich das. Meine Lebensäußerung suche ich in jenen Fähigkeiten, die mir geblieben sind: über die Sprache, das Schreiben, über meine Emotionen. Ich werde weiterhin ein gelingendes Leben haben, selbstbestimmt, meinen Träumen und Möglichkeiten folgend. 

Ihr Leben als Extrembergsteiger fasziniert, weckt Sehnsucht in anderen. Sie verstehen wirklich nicht, warum?

Warum finden Außenstehende dieses Extrembergsteigen so faszinierend? Wir machen nur Unnötiges. Alles, was ich getan habe, ist nutzlos. Ich bin und bleibe der Eroberer des Nutzlosen.

"Alles, was ich getan habe, ist nutzlos."

Warum tun Sie dann, was Sie tun?

Angesichts des Todes erscheint das Leben generell als absurd. Darum brauchen wir eine Fähigkeit, um dieser Absurdität etwas entgegenzusetzen. Darum braucht es die Sinnstiftung. Wir geben dem Leben – ich dem Abenteuer dazu – Sinn.

Für diese Sinnstiftung sind wir selbst verantwortlich?

Als selbstbestimmter Mensch habe ich das Recht und die Pflicht, meinem Tun, meinem Leben einen Sinn zu geben. Der fällt nicht vom Himmel.

Autor:
  • Georg Gatnar
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